Das Konzept der neuen Autorität
In dem Konzept der Neuen Autorität finden wir all diese Elemente wieder, ein Konzept, das davon ausgeht, dass Erwachsene und besonders Pädagogen*innen und Eltern eine liebevolle Autorität entwickeln und leben sollten, damit Kinder Struktur, Halt und Beziehung erfahren. Der autoritäre Erziehungsstil war im Kern eine Pädagogik der Distanzierung und Strafe. Antiautoritäre Erziehungsstile wiederum betonten die Freiheit des Kindes und vergaßen dabei, wie notwendig wohlmeinende Strukturen sind, die Sicherheit geben.
Die Neue Autorität (nach dem israelischen Psychologen Haim Omer) geht davon aus, dass die Verantwortung für ein gelingendes Begleiten von Kindern und Jugendlichen immer auf der Ebene der Erwachsenen zu verorten ist. Grundlegend für das Verständnis der „Neuen“ Autorität ist die systemische Ordnung: Damit Kinder Orientierung und Halt haben, muss „die Welt" klar strukturiert sein. Die begleitenden Erwachsenen sind und bleiben auf der Erwachsenenebene, nehmen ihre Verantwortung wahr, sind vernetzt und stärken sich gegenseitig zum Wohl der Kinder.
Systemische Unordnung
Systemische Unordnung kann entstehen, wenn sich auf der Erwachsenenebene Konflikte nicht lösen, wenn kein Wir vorhanden ist („Allein-Erziehende“), wenn die Erwachsenen geschwächt, krank oder nicht präsent sind. Aber auch, wenn die Erwachsenen nicht in ihrer Rolle sind bzw. auf die Kinderebene rutschen: „Ich bin die beste Freundin meiner Tochter“ oder „Mein Sohn versteht mich am besten“ sind Sätze, die darauf hindeuten, dass die Erwachsenenebene verlassen wurde.
Ein „systemisches Minenfeld“ entsteht, wenn wir als Erwachsene unsere Themen, Emotionen, Konflikte und Krisen nicht adäquat benennen, beantworten und lösen. Wir wissen aus dem Feld der Psychotherapie, dass ungelöste „Familienkonflikte“ in nachkommenden Generationen weiterleben können. Dieses Phänomen der transgenerativen Übertragung verläuft in der Regel unbewusst, oft sprachlos und unerkannt. Kinder aber nehmen diese Störungen wahr und haben einen intrinsischen Impuls, im System wieder Ordnung herzustellen. Sie reagieren entweder durch Widerstand oder sie wechseln auf die Erwachsenenebene und versuchen dort, durch eine unpassende Rollenübernahme (Ersatzpartner*in, Mediator*in, „der*die Stille und Brave“) die Unordnung zu regulieren. Beide Reaktionsweisen überfordern Kinder und lassen sie nicht Kind sein.
Eltern bzw. Erwachsene mit Erziehungsverantwortung haben demnach vier zentrale Aufgaben, ja Pflichten: Sie sind verantwortlich
- für Sicherheit und Schutz,
- für Beziehung,
- für Respekt und würdevollen Umgang sowie
- für die eigene Selbstkontrolle und Selbstfürsorge.
Kümmern sich die Erwachsenen um diese wesentlichen Bausteine, dann können Kinder und Jugendliche an ihrer eigentlichen Bestimmung – nämlich der Selbstentfaltung – buchstäblich wachsen.
Schutz und Sicherheit
Für Schutz und Sicherheit zu sorgen, bedeutet, die Gefahren für die Kinder zu sehen und sie davor zu schützen, ohne übermäßig zu kontrollieren oder die eigenen Ängste auf die Kinder zu übertragen. Im Jugendalter wird dieses Schützenwollen immer herausfordernder und schwieriger, denn die Einflüsse von Medien, Peer-Groups etc. sind schwer bis kaum steuerbar. In dieser Phase geht es darum, ein Bewusstsein für mögliche Risiken zu stärken, das heißt, mit den Jugendlichen eine Sensibilität für Gefahren und eine Handlungskompetenz zu entwickeln. Sicherheit entsteht im Wesentlichen durch „Bindungssicherheit“ („Du kannst mich als Vater/Mutter nicht kündigen!“) und Präsenz („Ich bin da und begleite dich auch in schwierigen Zeiten“).
Beziehung und Beziehungsgestaltung
Für die Beziehung und Beziehungsgestaltung sind wir Erwachsene zuständig. Auch wenn Kinder und Jugendliche sich verschließen oder die Beziehung ablehnen, sind wir gefordert, immer wieder neu Beziehungsgesten zu setzen, Einladungen auszusprechen und zu versuchen, konfliktfreie, feine Zeiten zu gestalten. Oft verweigern Jugendliche phasenweise einen guten Kontakt. Sie sind so mit sich und der sich verändernden Welt im Innen und Außen beschäftigt, dass sie vieles ablehnen. Eltern und Pädagogen*innen sind da sehr gefordert, nicht selbst in einen gekränkten, trotzigen Widerstand zu gehen oder zu resignieren. Es gilt also, jeden Tag aufs Neue Beziehungsgesten zu setzen.
Respektvoll und würdevoll
Ein respekt- und würdevoller Umgang mit Kindern und Jugendlichen muss von uns Erwachsenen ausgehen. Durch die klare Trennung von Person und Verhalten – „Dich als mein Kind respektiere ich uneingeschränkt, deine Würde ist unantastbar, einige deiner Verhaltensweisen kann ich aber nicht akzeptieren …“ – wird es leichter, zu deeskalieren und gleichzeitig Halt und Struktur zu geben. Im Zentrum der Neuen Autorität steht Gewaltlosigkeit. Drohungen, Bestrafungen, Beschämung und selbstverständlich körperliche Gewalt gefährden die Beziehung zwischen Eltern und Kind und schaden nicht nur dem Kind nachhaltig, sondern beschädigen auch die elterliche Autorität.
„Dich als mein Kind respektiere ich uneingeschränkt, deine Würde ist unantastbar, einige deiner Verhaltensweisen kann ich aber nicht akzeptieren …“
Für sich selbst sorgen
Die Selbstkontrolle und Selbstsorge ist der vierte Baustein der Erwachsenenverantwortung. Unsere Kinder bringen uns manchmal an die Grenzen der Selbstbeherrschung, sie treffen oft unsere eigenen wunden Punkte oder spiegeln uns. Die aufkommenden starken Emotionen zu kontrollieren und in eskalativen Situationen einzudämmen, macht uns handlungsfähig, lässt uns auf der Erwachsenenebene bleiben. Es ist ein Grundsatz der Neuen Autorität: Wir können nicht unsere Kinder, sondern nur uns selbst kontrollieren. Zudem haben wir als Erwachsene im Benennen und Umgang mit Gefühlen eine wichtige Vorbildwirkung. Eine gute Selbstsorge stabilisiert die systemische Ordnung: Die Kinder dürfen und müssen uns in unserer Selbstsorge nicht unterstützen. Wir sind aufgefordert, uns selbst um unsere psychische Gesundheit zu kümmern.
Erziehungsarbeit kann aber nicht alleine von einem Elternteil oder einer*m Pädagog*in geleistet werden. Eigentlich braucht es dafür ein ganzes Dorf. Eine Öffnung hin zu einem Miteinander in der Kindererziehung ist ein Gewinn. Kinder lernen am Vorbild. Je mehr Vorbilder zur Verfügung stehen, desto variantenreicher ist auch das Lernen. Elternsein bzw. Pädagogik nach Neuer Autorität führt zu einem tieferen Verständnis von sich selbst und dem Miteinander. Erwachsene nehmen sich als Teil eines „Wir für die Kinder“ wahr, unterstützen und werden unterstützt.
Einige Grundprinzipien der neuen Autorität führen uns wieder zum Anfangsbild der Hirtin, des Hirten: „Wir sind deine Eltern/Pädagogen*innen und geben dich nicht auf. Wir schmieden das Eisen, wenn es kalt ist, d.h., wir lassen uns nicht provozieren. Wir müssen nicht gewinnen, nur beharrlich bleiben. Wir bleiben dran und haben einen langen Atem.“ In meiner Vorstellung vom Hüten einer Herde geht es um eine ähnliche Haltung, um vergleichbare Kompetenzen und, wenn auch auf der Mensch-Tier-Ebene, um herausfordernde, verantwortungsvolle, tiefe Beziehungsarbeit. Und sollte es eng werden oder Gefahr drohen, dann bilden Hirten und Hirtinnen ein Wir zum Schutz der Herde.
Von Hirten und ihren Herden
Es ist schon lieb gewordenen Tradtion, dass die Gewerkschaft der Pflichtschullehrer:innen und der k+lv im Advent zu einer besinnlichen Auszeit einladen.
Mit Musik und kurzen Texten wird beim Tiroler Lehrer:innen-Advent der Frage nachgegangen, warum sich Gottes Menschwerdung zuerst den Hirten offenbart hat und was Hirten und Pädagogen*innen verbindet.
Passend zum Thema ist der Lehrer:innen-Advent in der Pfarre Guter Hirte in Innsbruck zu Gast.
Musikalisch umrahmt wird die adventliche Stunde
- vom Glungezer Harfenduo,
- vom Acapella-Ensemble Voto,
- von Wiltener 5er Blas und
- von Clarinova Ultralight, dem Holzbläserensemble der Musikschule Kematen.
Die Impuse und Texte sind von Mag. Phillip Tengg.
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