Schreiben wirkt (2)

In Schreiben wirkt (1) beschreibt Kathrine Bader wie Schreiben Ordnung schafft und sich Gedankenspiralen in linearen Sätzen auflösen können und sich so das subjektive Wohlbefinden verbessert. In Teil 1 gibt sie mit dem Tagebuch und dem Autobiografischem Schreiben Beispiele persönlichen Schreibens und führt an dieser Stelle fort. 

Kreatives Schreiben in der Gruppe

So gewinnbringend das Schreiben für sich selbst ist, hat das Schreiben in einer wohlmeinenden Gruppe doch einiges an Mehrwert zu bieten. Zu Hause ist es ja häufig so, dass Alltägliches vom Schreiben ablenkt oder die Inspiration abflaut, weil kein Thema gefunden werden kann. Außerdem ist dieses Schreiben eine eher einsame Tätigkeit. Ganz anders das gemeinsame Schreiben: Hier kommen Gleichgesinnte an einem bestimmten Ort zusammen und nehmen sich eigens Zeit für das Verfassen von Texten. Die konzentrierte Atmosphäre und der geschützte Rahmen können beflügeln und den berühmten Flow auslösen.

Im kreativen Schreiben, wie ich es praktiziere, geht es nicht um eine hochliterarische Ambition, sondern in erster Linie um freies Schreiben „aus dem Bauch heraus“ – auch wenn manche Texte durchaus ästhetisch anspruchsvoll sind. Außer wenn eine bestimmte Form oder eine Textsorte ausprobiert werden soll, braucht nichts Bestimmtes zu entstehen. Wichtig ist nicht, WAS man schreibt, sondern DASS man schreibt. Die Freude am schriftlichen Ausdruck, der Spaß am Schreiben und ein spielerisches Ausprobieren stehen eindeutig im Vordergrund, wenngleich das Schreiben immer auch eine heilsame Funktion erfüllen kann. 

Immer wieder faszinierend ist es, welch unterschiedliche Herangehensweisen an Texte derselbe Impuls hervorzaubert. Deshalb ist der Austausch in der Gruppe von solchem Mehrwert, wobei eine Bewertung der Texte und ein konkurrierender Vergleich untereinander ein absolutes No-Go sind. Beim lauten Vorlesen wirkt der eigene Text oft auf andere Weise als beim Verfassen und man ist selbst überrascht, was da plötzlich alles aufgetaucht ist. 

Schreibimpulse gibt es zahllose: Bilder, Objekte, Musik, Wörter, Sätze, Texte, Fantasiereisen, Cartoons, eigenes Zeichnen oder Collagieren … all das und eine Kombination daraus sind möglich. Lustvoll kann es auch sein, verschiedene Schreibstile nachzuahmen.
Um den sog. inneren Zensor/die innere Kritikerin auszuschalten, der/die einem einflüstert „Das ist schlecht. So kannst du nicht schreiben. Du hast überhaupt kein Talent“ und so weiter, sind (je nach Impuls) kurze Schreibzeiten von circa zehn, max. 30 Minuten angesagt.

Die Texte werden üblicherweise in der Runde vorgelesen. Manchmal findet sehr Persönliches seinen Ausdruck, und die Autor*innen möchten es lieber für sich behalten, weshalb die „Veröffentlichung“ – denn das ist das Vorlesen vor Publikum ja in gewisser Weise – unbedingt freiwillig sein soll. Alles, was entsteht, ist richtig und gut, eine Themenverfehlung gibt es hier nicht, auch wenn der Schreibimpuls ganz anders interpretiert wurde als von der Leitung intendiert. Gerade dabei entstehen oft erstaunliche Ergebnisse.

Mehrmals habe ich schon erlebt, dass Teilnehmende meinen, sich für ihre Texte rechtfertigen zu müssen oder mit einer Entschuldigung einleiten, ihnen sei nichts Gescheites eingefallen. Lesen sie dann vor, kommen häufig positive Reaktionen vonseiten der Gruppe.

Übrigens sprechen die Workshops eindeutig mehr Frauen als Männer an. Vielleicht wagen es Männer tendenziell weniger, etwas von sich herzugeben, Gefühle anzusprechen, oder sie sind zielgerichteter, was die Textproduktion betrifft? Das sind nur Vermutungen, ich weiß es nicht.

Ins Schreiben kommen

In zahlreichen Workshops konnte ich erfahren, dass kreatives Schreiben einfach funktioniert, vorausgesetzt, die Teilnehmenden sind ihm gegenüber aufgeschlossen. Viele machen die Erfahrung, es schreibe sich quasi „wie von selbst“ – die Wörter fließen nur so übers Papier. 

Freilich ist die Muse nicht immer gleich zur Stelle. Doch es gibt spezielle Methoden, die das Schreiben anregen. Hierzu gehören etwa das bereits erwähnte Freewriting oder das Clustering, ein von Gabriele L. Rico bereits vor über 50 Jahren entwickeltes Verfahren, das lineares und bildhaftes Denken verbindet und so beide Gehirnhälften aktiviert. In die Mitte eines (quergelegten) Blattes wird in eine Art Sprechblase ein Kernwort platziert. Zu diesem werden weitere Begriffe frei assoziiert, wodurch ein strahlenförmiges Netz solcher Blasen entsteht. Aus dieser Ideensammlung wählt man einen besonders interessanten Eintrag oder eine ganze Kette aus und kreiert daraus einen Text. Wer strukturierter vorgehen möchte, bedient sich einer Mindmap, welche Tony Buzan beinahe zeitglich entwarf. Von einem Kernwort führen thematische Äste weg, die sich immer feiner verzweigen. Beides ist übrigens auch wunderbar dafür geeignet, sich dem Thema einer wissenschaftlichen Arbeit anzunähern. 

Beim Für-sich-alleine-Schreiben spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Dazu gehört der Ort, also die Schreibumgebung, die der Schreibtisch, die Natur oder der Zug sein kann. Manche brauchen absolute Stille und Ungestörtheit, andere, wie die Kaffeehausliterat*innen, bevorzugen die Anwesenheit anderer Personen und Hintergrundgeräusche. Auch Rituale vor Schreibbeginn können hilfreich sein: eine Tasse Tee oder Kaffee, Düfte, (dezente) Musik ... Die am besten geeignete Schreibzeit muss jede*r selbst herausfinden, für die einen ist eine immer gleichbleibende Stunde förderlich, andere nutzen jede freie Minute. Auch die Schreibutensilien spielen eine Rolle, sei es die Füllfeder oder ein Bleistift und ein besonderes Heft. Meiner Meinung nach besteht bei einem zu edlen Material ein wenig die Gefahr, es durch eine möglicherweise nicht allzu schöne Schrift zu „entweihen“, was hinderlich für einen Schreibbeginn wäre.

Apropos Schrift: So praktisch das Tippen auf einer Tastatur sein kann, ist die Bewegung hier immer dieselbe. Demgegenüber ist das Mit-der-Hand-Schreiben ein komplexerer Vorgang. Die relative Langsamkeit fördert präzises Nachdenken und verbessert zugleich die Merkfähigkeit. Handschriften sind individuell und lassen auf die Stimmung der/des Schreibenden schließen. Durchgestrichenes wird nicht einfach gelöscht, sondern bleibt erhalten, wodurch sich Gedankengänge auch noch später nachvollziehen lassen.
Ein solches Schreiben ist preisgünstig: Stift und Papier genügen, notfalls die Rückseite eines Parkscheins, eines Einkaufszettels, einer Rechnung oder von Kalenderblättern. 

Das Mit-der-Hand-Schreiben ist ein komplexerer Vorgang. Die relative Langsamkeit fördert präzises Nachdenken und verbessert zugleich die Merkfähigkeit.

Mögliche Hindernisse

So wirkungsvoll und hilfreich das Schreiben sein kann – ein Allheilmittel ist es nicht. Es ist möglich, dass jemand bei der Schilderung von belastenden Themen in einen Schreibrausch fällt, der alles andere als förderlich ist. Hier hilft es, eine Schreibpause einzulegen, auf ein völlig anderes Thema zu wechseln oder eine andere Perspektive einzunehmen. 
Letzteres ist auch bei einer Schreibblockade oder Schreibhemmung zu empfehlen, die besonders dann eintreten kann, wenn sehr belastende Themen anstehen. Hier hat sich auch bewährt, den Widerstand zu personifizieren und die Blockade direkt anzusprechen, etwa in Form eines Dialogs. Der Wechsel von der Ich-Form in die dritte Person schafft darüber hinaus eine Distanzierung. Auch Entspannungsübungen oder Bewegung tun ihr Übriges.

Auftretende Gefühle sind jedenfalls ernstzunehmen und es sollte nachgespürt werden, woher die Schreibschwierigkeiten rühren. Das können zum Beispiel negative Schulerfahrungen sein, aber auch ein hoher Perfektionsanspruch an sich selbst oder ein zu großer bzw. ein zu geringer Abstand zu einem Thema.
Und nicht für alle ist das Schreiben das Mittel der Wahl, um sich selbst näherzukommen. Vielleicht sind in diesen Fällen andere Ausdrucksarten wie Malen, Tanzen oder Musik erfolgreicher. Allerdings ist auch das Schreiben mit all diesen Kunstformen kombinierbar.

Literatur

  • Heimes, Silke (2020): Ich schreibe mich gesund. dtv: München
  • Heimes, Silke (32011): Kreatives und therapeutisches Schreiben. Ein Arbeitsbuch. Vandenhoeck Ruprecht: Göttingen.
  • Peischer, Alexandra (2023): Versuchen Sie’s mal mit Schreiben! Ein effektives Werkzeug für Coaching, Beratung und Erwachsenenbildung. Carl-Auer: Heidelberg.
  • Pennebaker, James W. (22021): Heilung durch Schreiben. Ein Arbeitsbuch zur Selbsthilfe. Hogrefe: Bern
  • Rico, Gabriele (1999): Von der Seele schreiben. Im Prozeß des Schreibens den Zugang zu tiefverborgenen Gefühlen finden. Junfermann: Paderborn.
  • Schreiber, Birgit (2017): Schreiben zur Selbsthilfe. Wörter finden, Glück erleben, gesund sein. Springer: Bremen.
  • Winnewisser, Sylvia (2010): Einfach die Seele frei schreiben. Wie sich therapeutisches Schreiben auf die  Psyche auswirkt. Mit vielen Übungen und Beispielen. Humboldt: Hannover.

Workshop mit Kathrine Bader

Einen ganzen Werkzeugkoffer für Lehrkräfte und Jugendarbeiter*innen zum Thema Schreiben bietet Kathrine Bader am 11. April  im Haus der Begegnung in einem Workshop an.

Dialog statt Kollision – Jugendliche Anliegen ernst nehmen: Schreiben wirkt 

Schreiben wirkt! 

Viele Jugendliche sind spätestens seit Corona verunsichert und bedrückt. Etwas zu Papier zu bringen, kann zu einer Entlastung und dazu beitragen, Ordnung in die Gedanken zu bringen. Das Mittel der Wahl ist kreatives Schreiben, bei dem in assoziativen Verfahren spontane Texte entstehen.
In diesem Workshop lernen Sie verschiedene Methoden und Impulse des kreativen Schreibens kennen und probieren diese gleich selbst aus. 

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Kathrine Bader
Kathrine Bader Mag.

Seit 1989 ist Kathrine Bader dem kreativen Schreiben verfallen und leitet seit mehr als 20 Jahren selber Schreibwerkstätten. In ihre Arbeit fließen Biografiearbeit, Poesie- und Bibliotherapie und Schreibagogik ein. Weiters übernimmt sie Korrektorate und Lektorate und überträgt Texte in "Leichte Sprache".

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-ND.

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