Mit Schreibroutinen unser Selbst pflegen (1)

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Schreiben ist eine wundervolle Methode, um innere Ruhe zu finden und um belastende Gedanken los zu werden. In den  Impulsen zum Schreiben und den  angebotenen Übungen spiegeln sich die Bedeutung für Selbstfürsorge und die positiven Auswirkungen der Schreibroutine auf das Leben wider. 

F wie FÜLLE, FEIERN und FERTIGKEITEN

 

F wie friedlich.

Wenn wir regelmäßig sanfte Selbstgespräche führen – führen wollen,

so ist, meiner Erfahrung nach, wertschätzende Kommunikation nach außen eher

bzw. erst dadurch möglich.

 

Wir sind uns selbst während der empfohlenen Schreibroutinen kooperative

Übungspartner:innen für freundlich-friedliche Kommunikation.

Papier ist geduldig.

Wir werden belastende Gedanken durch den Stift los …

 

Los! Schreib. Los! Schreib los! Fertig!

 

Erfahre die Fertigkeit des kontinuierlichen Schreibens als Eintauchhilfe in einen inneren Raum der

Regeneration und intuitiven Resonanz.

Indem ich mit meinem Inneren Kontakt aufnehme, gestalte ich bereits proaktiv den Blick auf mein Selbst.

Durch die Entschleunigung, die mit den Schreibübungen naturgemäß einhergeht, erlebe ich ein

„Auf*Mich*Schauen“ mit größtmöglicher Sanftheit und Klarheit.

Für mich persönlich werden Entspannungskompetenzen durch Kreativität in Achtsamkeit kultiviert.

 

FÜRSORGEN

Wenn ich in dieser Verbundenheit

meine Gedanken beobachte und sie schreibend sanft in Richtung Selbstbestimmung und Selbststeuerung

begleite, so finde ich häufig Ressourcen und Rat, Trost und Zuversicht.

Für mich persönlich ist die tägliche Schreibroutine eine Art modernes Beten.

Es passiert, dass ich über einen Verlust weinen oder

über eine Überraschung lachen will, die Kerze neben mir flackert schon, der Tee zieht noch, der Bleistift ist

gespitzt und gespannt und

dann …

Kann ich gar nicht NICHT schreiben.

Und so steht da am Ende einer emotionalen Bewegung ein Gedicht. Eine unvollständige Phrase. 

Eine schlecht gereimte Strophe.

Oder eben ein Gebet. Persönlich und unverwechselbar individuell.

 

FÜLLE * Übung 1

Schreib vier A4 Seiten voll. Fülle sie an.

Mit allem, was dir möglich ist, auf zuschreiben und aus zuschreiben.

Raus zu schreiben.

Aus dir heraus. Auf das Blatt drauf.

FRÜHMORGENS

Ich empfehle, die Übung unmittelbar nach dem Aufwachen zu machen.

Das Zeitfenster unmittelbar nach dem Schlaf ist die bedeutsamste Zeit, was unser

Unterbewusstes angeht.

Meditation wird aus demselben Grund vor dem Frühstück empfohlen.

 

FREI und FLÜSSIG

Unliniertes Papier ermöglicht ein ablenkungsfreies Arbeiten.

Und geschrieben wird mit Bleistift oder Kugelschreiber, jedenfalls mit einem Schreibgerät, mit dem es sich

schnell und flüssig schreiben lässt.

 

FLUSS und FLOW

Diese Übung ist die relevanteste Schreibübung, die ich im Laufe der Jahre als aktiv Schreibende

von mehreren Lehrenden mit nahezu identischen Erläuterungen mitgenommen habe.

Ich habe sie für meine Entwicklung als Autorin intensiv unterstützend erlebt.

Als Mentorin für Sprachästhetik und auch als Auftrittscoach arbeite ich leidenschaftlich damit.

Die Übung ist für Personen ohne Vorkenntnisse und ohne

Ambition, das Schreiben als Beruf auszuüben, eine wunderbare Möglichkeit, Selbstfürsorge aktiv zu

gestalten.

 

Diese vier Seiten vollzuschreiben, bewirkt ein Gefühl von Fülle. Wir kommen in den Fluss.

Niemand wird diese Seiten lesen, du selbst kannst auch davon Abstand nehmen.

Es ist dein Mülleimer für

Alles, was du loswerden musst, und deine Quelle für alles, wonach du suchst.

Es gibt nichts zu leisten. Nichts zu bieten. Es kann sinnloser Sermon sein, der da rausgewürgt wird.

Oder punktuell Poesie, die du noch nachttrunken ganz leicht und leise aufs Blatt flüsterst.

Manchmal steht da auch nur: „Und jetzt?“ Statt zu denken, statt zu stocken, schreib:

Und jetzt? So oft es nötig ist, und jetzt, bis es wieder fließt.

„Und jetzt“ lässt dich den Moment in seiner Vollkommenheit wahrnehmen,

du hältst inne, du hältst das Papier, du hältst den Stift.

Atme ruhig und regelmäßig. Der Stift bleibt auf dem Papier. Du bleibst im Moment.

 

Es kann sein, dass du dich wiederholst.

Ich wiederhole: Es kann sein, dass du dich wieder und wieder wiederholst.

Aha, das Thema X scheint mich zu beschäftigen.

Das schreib ich jetzt schon seit Wochen!

Und jetzt?

Schreibst du drüber, dass du das seit Wochen schreibst …

Ich empfehle und empfinde das Schreiben als probates Mittel gegen das manchmal kräfteraubende Grübeln.

Ich habe diese Fülle-Seiten geliebt, gehasst und gefeiert. Zum Feiern kommen wir noch. 

Im Falle von Widerstand und Widerwillen habe ich damit und

darüber geschrieben.

 

Die Übung ist äußerst wirkmächtig – und für den Anfang als intensive Intervention gedacht.

Drei Monate lang.

Ich empfehle 30 Jahre ;-). Ich sehe keinen Grund, nach drei Monaten aufzuhören.

 

 

FEIERABEND

Der Tag ist vollbracht. Vorbei!

Vergangen.

Die Vergänglichkeit fordert ihren Tribut und schaukelt mit ihrer Vertrauten,

der Vergesslichkeit, in die Abendstunden hinein, bis wir in den Traum gleiten und dort

wahrscheinlich gänzlich unvorbereitet noch einmal sehen, was gesehen werden soll.

Verstehen es vielleicht dennoch nicht.

Sei es drum. Bevor wir dem Schlaf die Hand reichen und dem Traum die Türe öffnen,

können wir uns auf das Abschiednehmen einschwingen. Der Tag will und wird gehen. Adieu.

Die Nacht wirft das Tageslicht über ihre Schulter wie einen Sack, darin liegen deine Abenteuer und

Erfahrungen übereinander, alles,

was du heute mitgenommen hast aus deinem Alltag und …

einiges wird über Nacht vielleicht verschwinden. Nicht automatisch vergessen.

Aber es liegt im dunklen Sack herum. Und könnte doch in Bewusstheit glänzen.

Hol ein paar Ereignisse noch einmal heraus. Ein paar einzelne Begebenheiten aus deinem Alltag

und polier sie,

bis sie golden glänzen und glühen.

FEIERN * Übung 2

Notiere fünf Begriffe (mindestens fünf!), die die heutigen Erlebnisse bezeichnen,

welche du feiern möchtest.

Und sorge durch das Notieren = Archivieren auch dafür, dass du diese Situationen länger in Erinnerung

behalten wirst. Das ist ein angenehmer Effekt der Übung, es gibt noch mehr.

Die Gegebenheiten bekommen durchs Gewahrsein etwas mehr Gewicht, so habe ich das immer wieder

erlebt.

Sie heben sich durch das bewusste Wahrnehmen/noch einmal Wahrnehmen von den anderen Momenten

des Tages etwas ab, weil sie lackiert werden.

Notiere mindestens fünf Begriffe, die du jetzt, an dein Kissen gelehnt, wie süße Betthupferln genießen wirst.

 

Gespräch

Jenny

Idee

Hut

Berlin

 

Natürlich kannst du die jeweiligen Begriffe erweitern, Sätze formulieren und die Worte der

Wertschätzung variieren.

 

Das Gespräch heute mit meiner Kollegin war konzentriert. Das entspannt mich.

Ich feiere Jennys Kekse. Sie hat sich sehr viel Mühe gemacht. Und ich war dankbar für die glutenfreie Sorte.

Ich bin stolz und froh, ich hatte diese coole Idee für den Geburtstag der Direktorin.

Die Dame im Bus hat sich so gefreut, dass ich ihr ein Kompliment für ihren Hut gemacht hab.

Die Textnachricht meiner Freundin aus Berlin hat mich überrascht und zu Tränen gerührt, Freundschaften

wie diese erfüllen mich.

 

Diese Übung wird unbedingt schriftlich erledigt!

Natürlich können wir auch an fünf positive Punkte denken vor dem Schlafengehen.

Aber das Schreiben schützt uns davor, abzuschweifen, weil wir etwas kontrollierter arbeiten können auf dem

Papier als im Kopf.

 

Die Übung ist einfach und kann rasch erledigt oder bewusst zelebriert werden. Sie entspannt abends 

und fokussiert unseren Blick im Alltag.

Nach dem Motto: Wo und wann passiert heute etwas Bemerkenswertes, damit ich später meine fünf Punkte

finden werde. 

Vielleicht möchtest du mehr als fünf schreiben. Klar!

Ich feiere, dass es so viel zu feiern gibt.

Wichtig: Fünf und mehr gehen an manchen Tagen gut, manchmal sogar besonders leicht.

An anderen Tagen, an Tagen, wo wir befindlich sind, schwermütig und melancholisch, uns eine Angst

ereilt,

begründet oder unbegründet, tun wir uns vielleicht schwer damit, fünf zu finden.

Meine Empfehlung: Suche sie und finde sie! Der erste Gedanke nach einem fordernden Tag mag sein:

Heute finde ich sicher keine Perlen …

Und genau deswegen gibt es diese Übung, genau dafür empfehle ich, die Übung schriftlich zu machen.

Mit dem Stift in der Hand beschäftigst und bündelst du deine Gedanken. Du wühlst mit der Bleistiftspitze im

Grau des Tages und entdeckst irgendwann kritzelnd ein kleines Stück, das dir entgegenleuchtet.

Und du birgst das Gold. Vielleicht schreibst du erst einmal NUR: 

erstens

zweitens

drittens

viertens

fünftens

… und vielleicht, vielleicht notierst du plötzlich …

ich feiere …

Erstens, dass ich schreiben kann.

Zweitens, wertschätze ich… dass … dass ich gleich schlafen werde können … in einem Bett …

in Dankbarkeit.

 

Fünf! Gib mir Fünf!

Mehr?

Und jetzt? Weiter … weiter …

 

Ich hatte heute im Streit den Mut, für mich einzustehen. Yeah!

Ich war heute sehr verärgert am Vormittag – aber ich habe rasch jemanden gefunden, mit dem ich darüber

sprechen konnte. So gut.

Ich weiß gerade nicht, wie ich diese Woche überstehen werde, aber mir ist etwas klarer geworden, was ich

brauche, und worum ich bitten werde. Konkret bitten werde.

Ich bin sehr erschöpft, aber ich habe diese Übung trotzdem geschafft. 

Gute Nacht.

Weitere Beiträge

Noch mehr Impulse einen Stift und ein Blatt Papier in die Hand zu nehmen, gibt es im zweiten Teil Mit Schreibroutinen unser Selbst pflegen von Michaela Obertscheider. 

Michaela Obertscheider
Michaela Obertscheider

Michaela Oberscheider ist Rednerin, Seminarkaberettistin, Autorin, Trainerin und Regisseurin.

Die geborene Tirolerin lebt und arbeitet als Künstlerin und Mentorin in Wien. Sie lehrt rhetorische Präsenz, Potenzialentfaltung und Teamentwicklung.

Fotocredit: Klemens Dellacher

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-ND.

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