Mit Freude lehren und an den Herausforderungen wachsen

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Jeder Schulalltag beinhaltet viele Herausforderungen unterschiedlichster Art für Lehrpersonen. Das wird in diesem Beitrag anhand eines Fallbeispiels aufgezeigt.
Konkrete Maßnahmen können dazu beitragen, Berufsbewältigungsfähigkeiten und kompetente Selbst- und Handlungsregulationen für den schulischen Alltag zu entwickeln. Sie stellen wesentliche Impulse zur Förderung von Reflexionsprozessen dar, um die Freude am Lehren zu erhalten.

Ein Fallbeispiel

„Es ist 6.45 Uhr und ich sitze im Bus auf dem Weg zu meiner Schule. In Gedanken gehe ich den Vormittag durch – 1. Stunde Mathematik, da muss ich mir noch die Materialien von der Parallelklasse holen … 2. Stunde Bewegung und Sport …  Meine Gedanken werden gerade durch eine Nachricht über SchoolFox am Handy unterbrochen.

Eine Mutter teilt mir mit, dass ihr Sohn wegen Fieber nicht in die Schule kommen kann und fragt, ob ich ihr die heutigen Materialien zukommen lasse … Gleichzeitig kommt noch eine Nachricht von der Schulleitung herein, dass kurzfristig am Spätnachmittag eine Besprechung stattfinden wird.
Mein Nachmittagsprogramm, die Radtour, ist somit hinfällig und zudem taucht die Frage auf, ob es Sinn macht, über Mittag nach Hause zu fahren … Doch jetzt zurück zum Vormittag.
Für die Deutschstunde muss ich noch die Arbeitsblätter kopieren … Auf die 4. Stunde freue ich mich schon sehr, denn da habe ich eine besondere Musikstunde vorbereitet und deshalb ist auch meine Ukulele dabei … In der letzten Stunde ist Kunst und Gestaltung angesagt, da hoffe ich, dass die Digitale Tafel funktioniert, denn ich möchte eine Künstlerbiografie einspielen … 

Es ist 14.00 Uhr und ich sitze zufrieden, aber ziemlich fertig im Konferenzzimmer. Wenn ich an den Vormittag zurückdenke, lief nicht alles, wie von mir erwartet. Die Musikstunde, auf die ich mich besonders gefreut habe, war für mich enttäuschend, weil die Schüler*innen nicht so begeistert waren, wie ich es mir vorgestellt habe. Das Mitschleppen der Ukulele hätte ich mir sparen können. In Kunst und Gestaltung musste ich viel Zeit dafür aufwenden, den Videoclip auf der Digitalen Tafel zu starten, weil das Internet wieder etwas stockte. Trotzdem entstanden kreative und sehr unterschiedliche Produkte der Schüler*innen. Super lief es in Deutsch, weil der von mir ausgewählte Lesestoff die Schüler*innen fesselte und zum Weiterlesen motivierte. Jetzt muss ich noch der Mutter des erkrankten Schülers die Materialien zukommen lassen. Ich entscheide, mir einen Snack in Schulnähe zu holen und nicht mehr vor der Besprechung nach Hause zu fahren … 

Es ist 18.00 Uhr und ich sitze im Bus nach Hause. Die Besprechung war sehr interessant und ich hatte einen guten Austausch mit meinen Kollegen*innen. Die Zeit bis zur Besprechung habe ich zum Glück für die Vorbereitungen für morgen genutzt, sodass ich zuhause nur noch den Rest zu erledigen habe. Eine Joggingrunde wird sich deshalb noch ausgehen … 

Es ist 23.00 Uhr. Ich bin todmüde. Wenn ich an den Tag zurückdenke, war er zwar ausgefüllt und auch anstrengend, aber trotzdem bin ich zufrieden und freue mich auf den morgigen Unterricht und vor allem auf meine Schüler*innen.“


Im Fallbeispiel wird deutlich, dass es für Lehrpersonen wichtig ist, rechtzeitig die für sie belastenden Faktoren zu erkennen, um nicht in kritische Situationen zu geraten. In diesem Zusammenhang wird auch von einem „professionellen Selbst“ gesprochen. Professionelles Handeln verlangt Selbststeuerung, die Bauer (2015, S. 9) als „ganzheitliche Selbstfürsorge“ bezeichnet (ebd. S. 15). Trotz intensiver Analyse- und Reflexionsleistungen braucht es zudem eine gewisse Akzeptanz von Belastungen, innerhalb derer die pädagogische Arbeit verrichtet wird. Dazu gehören z.B. die Klassenschüler*innenanzahl, Lehrplanvorgaben, administrative Aufgaben etc. Dagegen anzukämpfen, führt zu keiner schnellen Veränderung der konkreten Situation. Mit Belastungen zu leben, kann für Pädagogen*innen einerseits bedeuten, Unveränderliches zu akzeptieren oder zu relativieren und anderseits Entlastungen zu realisieren und mitunter Einstellungen zu ändern. Den Gestaltungsspielraum zu erkennen und auszufüllen, wird für jede Lehrperson etwas anderes bedeuten. Daher gibt es nicht den einen, richtigen Weg zu guter Selbststeuerung, sondern jede und jeder muss die eigene, für sich persönlich erfolgreiche Richtung finden. 

 

Folgende Impulse zu pädagogischen Strukturen, Haltungen und Reflexionen sollen als mögliche Anregungen dienen:

Pädagogische Strukturen schaffen 

Handlungen setzen, die notwendige Rahmenbedingungen schaffen und den Unterricht strukturieren:
Im Fallbeispiel: Mathematikmaterialien bereits am Vortag organisieren, Arbeitsblätter rechtzeitig kopieren, Materialien- und Mediencheck vornehmen, methodische Vielfalt, qualitätsvolle Planung, Überlegungen zum Zeitmanagement
Weiters: 

  • vereinbarte Klassenregeln und -rituale konsequent einfordern,  
  • Schüler*innenmitverantwortung fördern, 
  • durch Präventivmaßnahmen für einen möglichst störungsfreien Unterricht sorgen (Sitzordnung, Schüler*innenaktivierung, …),  
  • auf ein konstruktives Miteinander in unterschiedlichen Sozialformen (Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Sitzkreis, …) achten,
  • Unterrichtsabfolge gut überlegen und Unterrichtsschritte deutlich machen,
  • Klarheit in der Aufgabenstellung, 
  • erforderliche Materialien rechtzeitig bereitstellen,
  • … 
Weiße Löwenzahnsamen mit Tautropfen stark vergrößert.

Pädagogische Haltungen leben

Fördermaßnahmen setzen, um die Berufszufriedenheit zu stabilisieren:
Im Fallbeispiel: Freude an der pädagogischen Arbeit sehen, Kollegen*innenaustausch praktizieren, guten Kontakt zu Eltern pflegen, permanente Reflexionen vornehmen, Ausgleichsaktivitäten (Joggingrunde) setzen
Weiters:

  • pädagogische Arbeit als sinnstiftende Tätigkeit erkennen, 
  • an Berufsethos und -zufriedenheit arbeiten, 
  • kritisches Hinterfragen als souveräne Routine einbauen,
  • auf einen achtsamen Umgang mit der eigenen Person achten,
  • respektvoll mit den anderen umgehen, 
  • wertschätzende Kommunikation mit allen an der Schule Beteiligten pflegen,
  • gegenseitige Unterstützungsangebote und Kooperationen annehmen und fördern,
  • sich um jede*n Schüler*in bemühen, Begeisterung wecken und zum Durchhalten motivieren,
Häuserfront in hell- und dunkelgelb und hellblauer Himmel spiegeln sich in einer Fensterfront

Pädagogische Erfahrungen reflektieren

Maßnahmen setzen, die ein professionelles Selbst ermöglichen:
Im Fallbeispiel: Innehalten und Selbstposition einnehmen, Resilienzfaktoren aufspüren
Weiters:

  • die eigenen Gefühle präzise wahrnehmen, 
  • Gefühlshaushalt regulieren und Abgrenzungen vornehmen, 
  • Kontextsensibilität erkennen, 
  • eigenverantwortliches Handeln praktizieren (Gestaltungsspielräume erkennen und nützen, Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen), 
  • … 
Cover: An der Schule wachsen

An der Schule wachsen

In unserem Buch An der Schule wachsen. Selbstprofessionalisierung von Pädagog:innen (Heis & Mascotti-Knoflach, 2022) beschreiben wir ausführlich, anhand vieler Beispiele und mittels online-Materialien wie selbstreflexive Prozesse in allen Phasen des Pädagogen*innen-Lebenslaufs dazu beitragen können, den zentralen Anforderungen im Lehrberuf Stand zu halten. Besonders für Pädagogen*innen, die in der Fürsorge für andere gefragt sind, ist es wichtig, die Fürsorge für sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren, positiv zu denken und an der Selbstfürsorge zu arbeiten.

Literatur

  • Bauer, J. (2015). Selbststeuerung – Die Wiederentdeckung des freien Willens. München. Blessing.

Elisabeth Heis
Elisabeth Heis Dr.

Elisabeth Heis (i.R.) war Professorin in den Bereichen Bildungswissenschaften und Pädagogisch-Praktische Studien an der Pädagogischen Hochschule Tirol. Die Autorin verfügt über Lehrämter des Pflichtschulbereichs mit mehrjähriger Schulpraxiserfahrung und abgeschlossenen Doktoratsstudium in Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Universität Innsbruck.

Silvia Mascotti-Knoflach
Silvia Mascotti-Knoflach Dr.

Silvia Mascotti-Knoflach ist Professorin in den Bereichen Bildungswissenschaften und Pädagogisch-Praktische Studien an der Pädagogischen Hochschule Tirol. Die Autorin verfügt über Lehrämter des Pflichtschulbereichs mit mehrjähriger Schulpraxiserfahrung und abgeschlossenen Doktoratsstudien in Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Universität Innsbruck.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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