Sprachfähigkeit statt Kollision - Toolbox für herausfordernde Gefühle und herausforderndes Verhalten (2)
Ein ganzheitliches Menschenbild als Grundlage
Auf Grundlage eines ganzheitlichen Menschenbildes, der humanistischen Psychologie und der Bindungs- und Traumaforschung (siehe Teil 1 des Artikels) werden wir im Workshop am 5. April 2024 vor allem konkrete Ansätze auf die Praxistauglichkeit überprüfen. Wir werden die Begegnungen und Gespräche im beruflichen Zusammenhang reflektieren, eine fachliche Position als Lehrkraft erarbeiten und nützliche Methoden ausprobieren.
In dem zweiten Teil des Artikels möchte ich den Fokus auf weitere Aspekte für die pädagogische Arbeit richten.
Bedürfnis nach Verbindung, Verbundensein und Resonanz
Neben dem positiven Menschenbild hilft uns das Wissen um die Bedeutung des Grundbedürfnisses nach Verbundenheit. Dieses Grundbedürfnis beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Es ist ein Leitmotiv für unser Menschsein.
Wenn wir Begegnungen gestalten, kommen wir diesem Grundbedürfnis nach. Wenn wir mit Menschen in einem guten Kontakt sind, entsteht eine Resonanz. Wir fühlen uns verbunden und können innere Ruhe und ein „Ganzsein“ durch diese Resonanz erfahren. Aus der Bindungsforschung und den aktuellen Theorie-Praxisarbeiten von Karl Heinz Brisch wissen wir, dass Bindung auch noch im Jugendalter oder bei Erwachsenen „nachreifen“ kann.
Gesprächssituationen und gelingende Gespräche gestalten
Carl Rogers konnte durch seine langjährige Erfahrung in der Psychotherapie bestätigen, dass für das Wirken eines Gesprächs eine unterstützende Atmosphäre notwendig ist. Diese unterstützende Atmosphäre stellte er mittels Empathie (einfühlendes Verstehen), unbedingte Wertschätzung (nicht wertendes Akzeptieren) und Kongruenz (Echtheit) her. Diese Grundlagen sind in alle Beratungs- und Begleitungsprozesse eingeflossen und können auch Bildungssituationen zu mehr Verbundenheit und Resonanz verhelfen.
Empathie anstatt Mitleid
Empathie oder einfühlendes Verstehen ist die Fähigkeit, im Gespräch in eine Resonanz zu gehen. Wir bleiben im Gespräch bei uns und geben der Person weiterhin Halt und Sicherheit, ohne in das Leid unseres Gegenübers einzusteigen. Es ist natürlich, dass uns belastende Situationen mitnehmen. Im beruflichen Kontakt mit Menschen achten wir darauf, dass wir Mitgefühl und einfühlendes Verstehen vermitteln. Wir verzichten auf Mitleid und auf Mitleiden mit unserem Gegenüber. Wenn wir Mitleid empfinden, verlieren wir oft den Kontakt zur begleitenden Person oder wir empfinden Hilflosigkeit und Ohnmacht. Beides ist für die Begleitung der Kinder und Jugendlichen nicht hilfreich.
Verhalten – Bedürfnis
Wenn unsere Gesprächspartner*innen irritierende, störende und angriffige Verhaltensweisen zeigen, hilft uns das Verstehen, dass hinter jedem Verhalten ein Bedürfnis steht. Sicherheit, Ruhe, Lustgewinn, Unlustvermeidung, Verbundenheit und Angenommensein sind Bedürfnisse, die oft nicht hinter anstrengenden Verhaltensweisen gesehen oder vermutet werden. Wir wissen, dass hinter jedem Verhalten ein guter Grund steckt. Diesen „guten Grund“ gilt es, mit den Schüler*innen herauszufinden. Mit Hilfe der „Weil“-Kommunikation kann mit den Schüler*innen in kleinen Schritten zum Verstehen ihrer Bedürfnisse beigetragen werden.
- „Du machst das, weil …?“, „Ich mache das, weil …!“, „Ich könnte mir vorstellen, du machst das, weil …!?“
- „Ich kann mir vorstellen, das war sehr hilfreich für dich, um in der Unberechenbarkeit zurechtzukommen/zu überleben!“, „Wir akzeptieren dich, deinen guten Grund und zeigen dir auch, wenn wir nicht einverstanden sind mit dem, was du tust.“
In der akzeptierenden Arbeit gehen wir diesem Grundsatz nach. Wir nehmen die Menschen vollkommen an, ihr destruktives Verhalten sprechen wir konkret an und lehnen es ab.
Scham und Beschämung
Die Gefühle Scham und Beschämung sind für das Thema „Begegnungen und Kommunikation“ wichtige Hinweisgeber. Wenn wir Begegnungen gestalten oder Gespräche führen, achten wir darauf, Beschämungen zu vermeiden. Wenn wir bemerken, dass wir mit den Themen oder Fragen Scham auslösen, verändern wir das Gespräch und stellen einladende, wertschätzende Fragen oder gestalten das Gespräch so, dass unser Gegenüber sich wieder wohl fühlt. Scham ist eine Emotion, welche die Verbindung zu der anderen Person trennt. Deshalb gehören der Umgang mit Scham und das Vermeiden von Beschämung in unseren Werkzeugkoffer.
Humor und Resilienz
Viktor Frankl nennt die Fähigkeit zu Humor und das Lachen eine „Trotzmacht des Geistes“. Die Fähigkeit für das Komische kann beim Überstehen von grausamsten Erniedrigungen helfen (vgl. Frankl zit. n. Titze 2004, S. 239).
Humor im Sinne von heiterer Gelassenheit ist unser soziales Bindemittel und wird intuitiv und automatisch von uns eingesetzt. Humor in der Bildungsarbeit hat nichts mit Witzen zu tun. Es geht vielmehr um Stimmung, um Atmosphäre und um Wohlfühlen. Dabei kann eine humorvolle Haltung sehr hilfreich sein. Spaß, Freude, ausgelassen sein, Musik hören, sich auf ein Treffen vorfreuen ... all das fällt unter diese Idee von Humor in der Bildungsarbeit.
Bei Humor in der Bildungarbeit geht vielmehr um Stimmung, um Atmosphäre und um Wohlfühlen.
Wer viel tragen muss, kann auch viel von dieser Art des Humors vertragen. 😉
Trotz allen Belastungen und Herausforderungen wünsche ich viel Freude beim Reflektieren und wünsche Ihnen, liebe Leser*innen, heitere Gelassenheit und Zuversicht!
Literatur
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EFFINGER, Herbert (2006): Lachen erlaubt. Witz und Humor in der Sozialen Arbeit. Edition Buntehunde. Regensburg.
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ROGERS, Carl R. (2013): Therapeut und Klient. Grundlagen der Gesprächspsychotherapie. Fischer. Frankfurt am Main.
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TITZE, Michael (2004): Die heilende Kraft des Lachens. Mit therapeutischem Humor frühe Beschämungen heilen. Kösel Verlag. München.
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