Sprachfähigkeit statt Kollision - Toolbox für herausfordernde Gefühle und herausforderndes Verhalten (1)
Bei der Begleitung von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen ist Mensch vielseitig gefordert.
Wir müssen als Gegenüber bereit sein, die Entwicklungsaufgaben der Kinder und Jugendlichen zu begleiten. Das ist oft klar und part of the game. Manchmal verstecken sich hinter Provokation, Aggression oder Gewalt verschiedenste Entwicklungsaufgaben. Manchmal richtet sich destruktive Energie gegen sich selbst und wird im ersten Moment gar nicht als problematisch erkannt. In dem einen Fall kann es sein, dass wir uns angegriffen oder provoziert involvieren lassen. Im anderen Fall erkennen wir die Signale (zu) spät oder gar nicht.
Konkret geht es um den Umgang mit den eigenen Gefühlen wie Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Diese werden als wichtige Wegweiser für eine gelingende Begleitung aufgegriffen. Der Fokus wird dabei auf das Gelingende gelegt.
Neben der Haltung und den unterschiedlichen Zugängen zum Themenfeld geht es in diesem Workshop vor allem um das Üben und um Begegnung in der Praxis. Begegnungen gehören zu unserem Alltag. Wir werden die Begegnungen und Gespräche im beruflichen Zusammenhang reflektieren, eine fachliche Position als Lehrkraft erarbeiten und nützliche Methoden ausprobieren.
Menschenbild - Werte
Sehe ich den Menschen als ein wildes Tier, das von Grund auf böse ist und nur durch Erziehung zu einem gesellschaftsfähigen Wesen wird?
Oder:
Sehe ich den Menschen von Grund auf als soziales Wesen, welches nur unter bestimmten Umständen zu Bösem und sozial schädlichem Verhalten neigt?
Je nach Ansicht entwickeln sich Angebote, Begegnungen und pädagogische Settings unterschiedlich.
Über die Jahre hinweg begleiteten mich diese Fragen in meinen beruflichen und privaten Kontexten, auf Reisen oder bei der Betrachtung von pädagogischen und beraterischen Konzepten.
In großen Teilen der Fachdiskurse wird angenommen, dass der Mensch von Grund auf ein soziales Wesen ist. Dies wird auch mit dem ersten Artikel in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Grundlage des Menschenbilds formuliert.
„Artikel 1 - Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ (Vereinte Nationen 1948)
Dass dies nicht nur eine mitteleuropäische Perspektive ist, wird in den Forschungsarbeiten des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte bestätigt. Die beiden Menschenrechtsexperten Hannes Tretter und Manfred Nowak verdeutlichen die Universalität der Menschenrechte:
„Alle Mitgliedsstaaten der UNO sind verpflichtet, die Menschenrechte in ihren nationalen Rechtssystemen voll zur Geltung zu bringen. Und es gibt keinen Staat der Welt, der nicht zumindest einige der universellen Menschenrechtskonventionen ratifiziert hat.“ (Tretter/Nowak zit. n. Chaplin 2016, S. 308)
Vertiefend zur Grundannahme, dass jeder Mensch mit Vernunft und einem Gewissen begabt ist, führen Schilling und Muderer (2010) sechs „Grunddimensionen“ an, um eine Verständigungsgrundlage für das Thema „Menschenbild“ zu schaffen. Sie führen neben dem Verstand auch noch die körperliche, die emotionale, soziale, kulturelle und ethische Dimension an.
Sie plädieren für ein ganzheitliches Betrachten des Menschen und bieten die Grunddimensionen als Reflexionsebenen. Sie fügen dem noch eine wesentliche Idee hinzu:
„Es geht um ein positives Menschenbild. Jeder Mensch hat im Bereich einer Dimension sicher eine besondere Begabung, die es herauszufinden gilt.“ (vgl. Schilling/Muderer 2010, S. 17f)
Folgende Werte können nun zusammengefasst werden:
Der Mensch ist als Ganzes zu sehen. Neben einem kognitiven Wesen ist er auch ein körperliches und emotionales Wesen, das seine Umwelt gestalten will, sozial eingebunden und auf die soziale Einbindung angewiesen ist. Gleichzeitig hat dieses Wesen kulturelle und ethische Bedürfnisse. Dieses Menschenbild vertritt den Wert, dass jeder Mensch in mindestens einer dieser Dimensionen eine besondere Begabung hat. Darüber hinaus geht diese Idee davon aus, dass die positive Beziehung die Voraussetzung allen Handelns ist.
Aus Sicht der Humanistischen Psychologie wird das Arbeiten an der besonderen Begabung wie folgt beschrieben:
- „Das humanistische Menschenbild geht von einem sinnhaften Streben in Richtung Selbstbestimmung aus, der heute weit verbreitete Begriff der Ressourcenorientierung geht auf dieses Konzept vom Menschen zurück.“ (Weiß 2016, S. 258)
In der Traumapädagogik, einer jungen pädagogischen Entwicklung, wird dieses Menschenbild im ersten Punkt des Positionspapiers des Fachverbandes deutlich:
- „1.1. Die Annahme des guten Grunds ‚Alles was ein Mensch zeigt, macht einen Sinn in seiner Geschichte!‘“ (Fachverband Traumapädagogik 2011, S. 4)
Auf Grundlage der Bindungstheorie und der aktuellen Forschungsergebnisse zu Psychotraumatisierung und Resilienz entwickelt sich die Traumapädagogik stetig weiter und wirkt auf die allgemeine Pädagogik und die Bildungsarbeit im positiven Sinne ein.
Literatur
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CHAPLIN, Laura (2016): Lachen ist der erste Schritt zum Glück. Hoffmann und Campe Verlag. Hamburg.
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Fachverband Traumapädagogik (2011): Positionspapier Traumapädagogik e.V. https://fachverband-traumapaedagogik.org/standards.html, abgerufen am 04.03.2024.
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SCHILLING, Johannes/MUDERER Corinna (2010): Der Clown in der sozialen und pädagogischen Arbeit. Methoden und Techniken wirksam einsetzen. Ernst Reinhardt Verlag. München.
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WEISS, Wilma (2003): Philipp sucht sein Ich. Zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen. Beltz Juventa. Weinheim; Basel.
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Vereinte Nationen (1948): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. A/RES/217 A (III). http://www.un.org/Depts/german/menschenrechte/aemr.pdf, abgerufen am 04.03.2024.
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