„Schule soll ein Ort sein, an dem junge Menschen mit Zuversicht geimpft werden!“
Herr Prof. Prantl, Sie sprechen oft von der „Kraft der Hoffnung" in schwierigen Zeiten. Was bedeutet dieser Begriff konkret für Sie im Kontext des Schulbeginns und der Bildung?
Prof. Heribert Prantl: Hoffnung hilft, die Dinge nicht einfach nur zu ertragen, sondern zu tragen. Und: In der Hoffnung steckt die Kraft zum Handeln; Hoffnung bahnt den Weg in die Zukunft. Die Schule ist ein Ort für Zukunft, sie soll, sie muss es sein. Sie ist ein Ort für Bildung; sie ist daher auch ein Ort für eine offene, ringende Diskussion, die andere Meinungen nicht verachtet, sondern achtet – sie soll, muss es sein. Schule ist eine Einrichtung, in der Hoffnungslosigkeit keinen Platz haben darf. Unsere Welt leidet an einer Grundhaltung, die Optimismus fast als Beleidigung empfindet: Die angebliche Zukunftslosigkeit wird oft so finster beschrieben, dass die Zukunft vor einem wegläuft. Schule muss also eine Institution sein, die dieser Sucht nicht verfällt. Schule soll ein Ort sein, an dem junge Menschen mit Zuversicht geimpft werden …, weil sie dort lernen, etwas zu können, weil sie lernen, etwas wert zu sein. Dann ist die Schule ein Kraftort.
Wie können Lehrkräfte und Schulen Hoffnung und Zuversicht vermitteln, insbesondere in einer Zeit, in der gesellschaftliche und globale Herausforderungen wie Klimawandel und soziale Ungleichheit verstärkt spürbar sind?
Prof. Heribert Prantl: Schule kann und soll, wenn es gut geht, der Ort sein, der zu entdecken hilft, wer man selbst ist oder sein kann. Gute Lehrkräfte helfen bei der Formung des Selbstbildes, sie wecken die kreativen Kräfte, sie geben Energie, sie locken dazu, sich zu entwickeln.
Welche Rolle spielt die Bildung in der Förderung von Resilienz und kritischem Denken bei jungen Menschen, damit sie in der Lage sind, schwierige Situationen mit Hoffnung zu meistern?
Prof. Heribert Prantl: Ich mag den Satz, den Willy Brandt einst über den Frieden gesagt hat. Man kann in seinem Satz das Wort „Frieden“ durch „Bildung“ ersetzen, dann ist er die Antwort auf Ihre Frage. Also: „Bildung ist nicht alles, aber ohne Bildung ist alles nichts“. Schülerinnen und Schüler sollen nicht nur Wissen anhäufen, sondern Antworten bekommen, wozu sie das wissen sollten, und dazu, welche Verbindungen zwischen den Fächern, den Generationen, den sozialen Gruppen einer Gesellschaft bestehen. Noch eine Anmerkung zum abgegriffenen Begriff „Resilienz“. Was verhindert in unserer Pädagogik, was verhindert in unseren überzogenen Erwartungen an die Kinder, was verhindert bei all unserem Geläster und Geschimpfe die Bildung von Resilienz? Der Umgang von Eltern und Lehrkräften mit Pannen und schlechten Erlebnissen. Ich kann eine Panne wertvoll finden und etwas daraus lernen, das ist dann wichtig, richtig und gut. Ich kann aber irgendeinen Schuldigen suchen und auf den schimpfen – das ist dann schlecht und falsch und kontraproduktiv.
Sie haben betont, dass Hoffnung nicht mit naivem Optimismus verwechselt werden sollte. Wie lässt sich dies im schulischen Umfeld umsetzen, wo realistische und positive Zukunftsperspektiven vermittelt werden müssen?
Prof. Heribert Prantl: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht. Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. Das heißt im schulischen Kontext: Bildung ist keine Garantie für immerwährendes Wohlergehen. Aber sie kann und wird eine gute Grundlage sein für ein gelingendes Leben. Das zu vermitteln ist realistisch und positiv.
Inwiefern kann die Schule einen Beitrag dazu leisten, jungen Menschen das Gefühl der Ohnmacht zu nehmen und sie zu ermutigen, ihre Zukunft aktiv zu gestalten?
Prof. Heribert Prantl: Ein Unterricht, der dazu führt, dass Schülerinnen und Schüler den Kopf hängen lassen und resignieren – ein solcher Unterricht ist ein schlechter Unterricht. Was ist guter Unterricht? Wenn alle Fragen der Kinder zugelassen, ernst genommen und offen diskutiert werden. Wenn Fakes von Fakten abgegrenzt werden, wenn gemeinsam Nachrichten gelesen, gesammelt und miteinander verglichen werden. Es sollte eine regelmäßige aktuelle Stunde (oder aktuelle zehn Minuten) eingeführt werden. Man muss die Kinder viel mehr machen lassen, man soll sie Themen bestimmen lassen und dabei die neuen Medien einbeziehen. Dabei kann man dann womöglich auch bewundern, was die Kinder schon können und wir Erwachsene nicht.
Hoffnung und Zuversicht fördern
Was glauben Sie, können Eltern und Lehrkräfte tun, um bei Schülerinnen und Schülern in Zeiten von Unsicherheiten (wie z. B. durch die Corona-Pandemie oder geopolitische Krisen) Hoffnung und Zuversicht zu fördern?
Prof. Heribert Prantl: Am wichtigsten ist es, den Kindern Perspektiven zu bieten. Es geht da um kleine Ziele, um kleine Projekte im Alltag; da bietet sich der Jahreskreis der Feste an und des Brauchtums dazu: Jeder darf sich wünschen, was gemeinsam gemacht wird; da wird dann die Toleranz aller geübt. Außerdem ist wichtig und wertvoll, den Kindern nicht nur ihre Defizite vorzuhalten, sodass dann Schulleistungen die Stimmung bestimmen. Es gilt auch, ihre besonderen Stärken zu stärken: Hilfsbereitschaft zum Beispiel. Dazu kann das Telefonieren mit den Großeltern gehören, dazu können kleine Handreichungen für die Nachbarin gehören. Man kann gemeinsam Filme anschauen und ins Theater gehen, man kann die gleichen Bücher lesen und dann darüber diskutieren. Das weitet die Perspektive auf die Welt.
Das alles lässt sich in einen großen Kontext einbetten: Es braucht Friedenserziehung, Friedenserziehung in einem umfassenden Sinn. Wir alle sind ja vollgestopft mit Basisgeschichten der Gewaltverklärung – nicht mit ihrer Ächtung. So sagt das der Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer: „Das alles gehört zu unserer kulturellen Ausstattung.“ Friedenserziehung ist also der Versuch einer Neuausstattung. Dazu gehört es auch, Gewaltchiffren zu entziffern. Der Dramatiker Anton Tschechow gab denen, die ihm nacheifern wollen und Theaterschriftsteller werden wollen, folgenden Rat: „Wenn im ersten Akt ein Gewehr hängt, muss es im letzten Akt auch abgefeuert werden“. Das ist ein kluger Satz, nicht nur wenn es um Aufrüstung geht. Das ist ein inspirierender Gedanke für die Friedenspädagogik überhaupt. Wenn man Kindern im ersten Akt ihres Lebens Gewehre in den Schrank hängt, werden sie die später auch abfeuern. Ein Mensch, der in täglichem Unfrieden, in Armut, in Rohheit und einem Klima von Gewalt aufwächst, wird es schwer haben, ein friedlicher Mensch zu werden. Friedenserziehung kann nicht früh genug anfangen. Es geht dabei nicht um Konfliktvermeidung, sondern darum, Konflikte zu erkennen, zu benennen, zu verhandeln und zu lösen – und die unlösbaren auszuhalten. Friedenserziehung ist Bildung in der Kunst des Kompromisses.
Welche Bedeutung hat der Ethikunterricht, der in Südtirol nun neu eingeführt wird, für die Vermittlung von Werten wie Hoffnung, Toleranz und Respekt?
Prof. Heribert Prantl: Kinder hören hier früh Geschichten aus allen Kulturkreisen und aus allen Weltreligionen. Dabei stellen sie dann fest, dass es nicht unbedingt darum geht, welchem Glauben man angehört, sondern darum, ob und wie die Werte umgesetzt werden. Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass es in entscheidend ist, nicht die eigene Bequemlichkeit, sondern das Gemeinwohl voranzustellen. Im Ethikunterricht sind die Lehrenden nicht an ein Dogma gebunden. Die Kinder spüren also, dass die Ethiklehrkraft selbst kritisch mit eingefahrenen Verhaltensweisen und Vorschriften umgeht und sie haben dadurch mehr Mut, Zweifel und Fragen zu äußern.
Zum Abschluss: Was gibt Ihnen persönlich in diesen turbulenten Zeiten Hoffnung, und wie können junge Menschen diese Haltung für ihre eigene Zukunft übernehmen?
Prof. Heribert Prantl: Mein Lieblingsfach war schon zu Schulzeiten „Geschichte“. Wissen um die Geschichte und ihre Zusammenhänge macht Mut. Geschichte lehrt, dass es immer schon Zeiten gab, in denen die Menschen meinten, es sei am schlimmsten und es gehe nicht mehr weiter. Geschichte lehrt also Zukunft. Zukunft ist nichts Feststehendes, nichts Festgefügtes – es gibt nur eine Zukunft, die sich jeden Augenblick formt: je nachdem, welchen Weg ein Mensch, welchen Weg eine Gesellschaft wählt, welche Entscheidungen die Menschen treffen. Daran sollte man denken, wenn die nächste düstere Prognose einem den Mut rauben will. Zukunft heißt: Es geht weiter. Es geht weiter, wenn jede/r in seinem/ihren kleinen Aktionsradius dafür sorgt, dass niemand ausgeschlossen wird, dass es allen gut geht (denn die Abgehängten werden wir alle mittragen müssen).
Zukunft heißt: Einfach anfangen, Sinnvolles zu tun – dann ziehen andere schon mit. Die Zukunft ist nicht geformt, sie wird geformt. Die Frage ist nicht, welche Zukunft man hat oder erduldet, die Frage ist, welche Zukunft man haben will und wie man darauf hinlebt und hinarbeitet. Hoffnung hält die Gesellschaft zusammen.
Zukunft heißt: Einfach anfangen, Sinnvolles zu tun – dann ziehen andere schon mit.
Heribert Prantl
Heribert Prantl ist Publizist, Journalist und Autor. Bis März 2019 war er Mitglied der Chefredaktion und Leiter des Ressorts Meinung der Süddeutschen Zeitung. Seitdem ist er ständiger Kolumnist der SZ und Kommentator und Essayist von Sueddeutsche.de. "Die Kraft der Hoffnung" ist eines seiner vielgelesenen Bücher und das war auch der Titel seines Vortrags bei der pädagogischen Großtagung 2024 in Bozen.
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