Als Säugling sind wir darauf angewiesen, dass Menschen mit uns in Beziehung treten. Aber je nach Erfahrung entwickeln wir unterschiedliche Bindungsmuster, die die Grundlage für unser Beziehungsverhalten in schwierigen Situationen bilden. Das Gefühl einer guten Beziehung kann für den einen mit ganz viel emotionaler Nähe einhergehen und für die andere auf ausreichend Distanz beruhen. Diese persönlichen und meist unbewussten Muster prägen unsere engen Beziehungen und vor allem unser Konfliktverhalten.
Eine gute Lehrer*in-Schüler*in-Beziehung hat sowohl für den Lernerfolg als auch für die soziale Entwicklung der SchülerInnen eine große Bedeutung (vgl. z.B. z-proso Projekt der ETH Zürich; Tomada et al 2015, Hüther, 2004). Ich möchte in diesem Artikel auf die Möglichkeiten eingehen, Beziehungen als Ressource und zusätzliches Tool zu nutzen, wenn sie sich nicht wie von selber ergeben.
Es fällt schwer, konkret zu fassen und zu benennen, was eine „gute Beziehung“ ausmacht. Wir wissen häufig nicht genau, warum etwas mit diesem Schüler gelungen ist und mit einem anderen nicht. Begriffe wie „Sympathie“, „gleiche Wellenlänge“ oder Sätze wie „Sie tickt halt so ähnlich“ oder „mit dem kann ich einfach nicht“ oder auch „na so, wie der tut, braucht er sich aber auch nicht wundern“ helfen nicht wirklich weiter.
Das Gefühl, das mit diesen letzten beiden Sätzen mitschwingt, kennen wir alle sehr gut. Dieses Gefühl, anzustehen, nicht zu wissen, was man tun soll, die Hilflosigkeit, gepaart mit der Frustration, es nicht gut und richtig machen zu können, ist uns allen bekannt. Wir wissen dann nicht mehr, was wir tun sollen oder machen können.
In jeder Beziehung zählen die Menschen. Gelingende und nicht gelingende Beziehungen haben eine enorme Wirkmacht und sind auch auf Lehrerseite eine wichtige Stütze und Stärkung.
In meiner Fortbildungs- und Supervisionsarbeit erfahre ich häufig, dass es die kleineren und größeren Alltagsdinge sind, die das berufliche Leben schwer machen. Ein Kind, das man einfach nicht erreicht, Eltern, die die schulischen Belange nicht unterstützen, ein Kind, das besondere Stärken oder Schwächen hat und herausfordert, Jugendliche, die sich nicht am Unterricht beteiligen, und vieles mehr. Es sind einzelne Themen mit einzelnen Menschen für die die gelernten Methoden und das Wissen über Menschen nicht anwendbar scheinen, wo man mit seinem eigenen Repertoire, das bei allen anderen funktioniert, nicht weiterkommt.
Genau in diesen Momenten lohnt es sich, auf die Möglichkeiten und Ressourcen der Beziehungsgestaltung zu schauen. Hier ist es wichtig, sich auch manchmal seine eigene Inkompetenz im Zwischenmenschlichen einzugestehen. Sie ist etwas sehr Menschliches. Jeder Mensch stößt mit seinen Möglichkeiten an die Grenzen anderer. Dieses Eingestehen eröffnet neue Entwicklungsmöglichkeiten und kann eine persönliche Goldgrube werden.
Was macht nun eine gute Beziehung aus? Welche unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten gibt es im professionellen Setting?
Wie oben angedeutet, wird Beziehung häufig als etwas erlebt, das sich entweder einfach ergibt oder eben nicht – es wird als passives „Geschenk“ wahrgenommen.
Beziehung ist ein Raum, der durch Interaktion gestaltet wird. Beziehung ist nicht, was ich gesagt oder getan habe, sondern wie es gesagt/getan und wie es gehört/erfahren wurde. Beziehung ist ein individuelles und emotionales Erleben. Das klingt nach sehr vielen Variablen, die nicht kontrollierbar sind. Hinzu kommt, dass Lehrer*innen gar nicht entscheiden können, ob sie in Beziehung treten wollen oder nicht. Tatsache ist, sie sind mit Schülern*innen, mit Eltern und Kollegen*innen in Beziehung.
Auch wenn Beziehung nicht einseitig bestimmbar und gestaltbar ist, haben wir viele Möglichkeiten, aktiv zu werden und Einfluss zu nehmen und somit die Beziehungsqualität zu verändern. Glücklicherweise ist es nicht etwas, das wir dem Zufall überlassen müssen. Wir können Beziehungskompetenz erwerben und professionelle Beziehungen jenseits von Sympathie gestalten.
Bevor ich auf die einzelnen Kompetenzen eingehe, die professionelle Beziehungskompetenz ausmachen, noch ein paar grundlegende Gedanken zu den Eigenheiten professioneller Beziehungen.
Professionelle Beziehungen sind immer asymmetrische Beziehungen:
Auch wenn Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung eine tragende Säule der modernen Schule sind, müssen wir anerkennen, dass sich die Aufgaben, die Verantwortung und die Rollen sehr deutlich unterscheiden. Als Lehrer*in bin ich persönlich involviert, aber nicht privat. Ich habe eine Aufgabe und bin auch Teil des Systems.
Schüler*innen sind jünger, unerfahrener, haben nicht die Verantwortung für Entscheidungen. Sie sind außerdem sehr abhängig vom Wohlwollen und von der Bereitschaft des Lehrers*der Lehrerin.
Auch Eltern sind – unabhängig von ihren beruflichen Kompetenzen und ihrem gesellschaftlichen Status – immer als Privatpersonen im schulischen Kontext betroffen. Ihr Kind ist ihnen sehr nah und sie sind immer persönlich und privat betroffen, wenn es schwierig wird. Sie haben keine Entscheidungsgewalt im schulischen Kontext.
Daraus ergibt sich auch, dass die Fachperson immer die Verantwortung für die Qualität der Beziehung trägt. Zusätzlich hat er*sie auch die Verantwortung für den Rahmen und die Struktur. Das bedeutet zum Beispiel die Führung des Gesprächs sowie die Gestaltung des Tonfalls und der Stimmung.
Fünf Kompetenzen, die miteinander interagieren
Professionelle Beziehungskompetenz (Juul & Jensen, 2009) beinhaltet fünf Kompetenzen, die miteinander interagieren:
Ich kenne mich
Beziehung fängt bei mir an: Ich als Person gehe in Beziehung. Es ist ein aktiver Prozess. Ich bringe mich ein, ich äußere mich, ich als Person muss für den anderen greifbar werden, erst dann kann mein Gegenüber mit mir in Beziehung treten. Dazu muss ich mich kennen, muss wissen, was das Verhalten bei mir auslöst, und in Kontakt zu meinen Gefühlen sein. Gerade unangenehme, sozial nicht erwünschte Gefühle können sehr subversiv und kontraproduktiv sein, wenn ich nicht gut mit mir selber in Kontakt bin.
Ich weiß, was ich will und brauche
In schwierigen Situationen ist es wichtig, nochmal innezuhalten und selber klar zu fokussieren: Um was geht es mir jetzt? Was will ich letztendlich? Es ist wichtig, zwei Bereiche zu unterscheiden: Zum einen die Frage: Was will ich in Bezug auf die Sache, also um was geht es mir inhaltlich? Zum anderen die Frage: Wie soll die Stimmung zwischen mir und dem anderen sein? Wie bringe ich mich ein? Will ich zum Beispiel Mitgefühl zeigen oder will ich Klarheit vermitteln; in diesem Punkt passiert häufig eine Vermischung, die Widerstand und Irritation beim Gegenüber auslöst.
Ich sehe Dich
Anerkennung und Mitgefühl sind wichtige Instrumente der Interaktion. Wenn es um die Beziehung geht, steht nicht die Leistung des anderen im Vordergrund, sondern sein SEIN als Mensch. Wir haben nicht immer Verständnis für das Handeln anderer, wir sind anderer Meinung usw. Aber unsere Fähigkeiten, Mitgefühl zu zeigen, können wir ausbauen. Mitgefühl ist im Gegensatz zu Empathie etwas Aktives, etwas, das ich bewusst steuern kann. (mehr dazu unter: Mitgefühl in Alltag und Forschung )
Ich gehe authentisch in Kontakt
Die ersten drei Punkte zeigen auf, wie wesentlich es ist, dass ich authentisch und ehrlich in Kontakt gehe. Diese Authentizität ist für die eigene psychische Gesundheit von großer Bedeutung. Wenn ich mich immer wieder verstelle, mit meiner Meinung der Harmonie wegen hinterm Berg halte, wirkt sich das langfristig auf die eigene Integrität aus. Kontakt ist der Moment zwischen zwei Personen, wo wirklich Begegnung stattfindet, der Moment, wo der Funke überspringt.
Ich höre zu und lasse mich herausfordern
Zuhören, ohne an eine Antwort zu denken, ist eine der größten Herausforderungen. Als Lehrer*innen sind wir gewohnt, zu reden und Gedanken zu äußern. Das Gegenüber braucht oft mehr Zeit, kann sich nicht immer so klar fassen. Wenn wir wirklich hören wollen, was unser Gegenüber sagt, geht es um das Entdecken dieser neuen Qualität und der Offenheit, das, was der andere einbringt, als eine Erweiterung der eigenen Realität ernst zu nehmen.
Beziehung ist ein stetiges Neugestalten im Hier und Jetzt von Mensch zu Mensch. Es ist ein Geben und Nehmen und ich als Mensch zähle in jeder Beziehung.
Beziehung ist ein Geben und Nehmen.
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