Kinderschutz als pädagogische Aufgabe

Kinder vor Gewalt zu schützen ist das Ziel des Kinderschutzes. Doch Kinderschutz ist mehr als Prävention vor Gewalt - es ist eine Grundhaltung. Und dafür braucht es Menschen, die Kinderschutz und Kinderrechte als pädagogische Haltung im Herzen tragen. Das Team des Kufsteiner Kindergartens Endach hat sich mit dem Thema Kinderschutz intensiv auseinander gesetzt und mit der MutMach-Box ein Handwerkszeug mit vielen wertvollen Anregungen für den pädagogischen Alltag entwickelt.

Die Entstehung der MutMach-Box

Die Entstehung der Mutmach-Box geht Hand in Hand mit der Erkenntnis, dass Gewalt viele Gesichter hat und in verschiedenen Kontexten auftreten kann – sowohl im familiären und externen Umfeld als auch innerhalb von Institutionen. Gewalt ist nicht immer offensichtlich, sie kann sich auch in subtileren Formen zeigen. Als Pädagogen*innen waren wir uns stets der Verantwortung bewusst, Kinder vor solchen Einflüssen zu schützen. Doch durch intensive Auseinandersetzungen und Reflexionen wurde deutlich, dass es nicht ausreicht, die bestehenden Strukturen beizubehalten. Wir mussten etwas verändern – wir wollten mehr tun.

Unsere Einrichtung hat sich schon lange für den Kinderschutz starkgemacht, doch nach und nach wurde uns klar, dass wir unsere pädagogischen Ansätze weiterentwickeln und uns intensiver mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Der Kinderschutz erfordert nicht nur Schutzmaßnahmen gegen Gewalt, sondern auch die aktive Förderung von Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit bei den Kindern. Die MutMach-Box entstand aus dem Wunsch heraus, genau diese Selbst- und Ich-Kompetenzen zu stärken und den Kinderschutz zu einem aktiven und sichtbaren Teil unseres Alltags zu machen.

Durch die Zusammenarbeit mit dem Soroptimistinnen Club Kufstein, der FH Kufstein und dem Netzwerk Vielfalt konnte die MutMach-Box für 14 Kindergärten in Kufstein konzipiert werden. Ziel war es, praxisnahe Materialien bereitzustellen, die den Pädagogen*innen helfen, Kinder zu ermutigen, ihre Rechte zu kennen, ihre Gefühle auszudrücken und „Nein“ zu sagen, wenn sie sich unwohl fühlen oder ihre Grenzen überschritten werden.

Der Aufbau der MutMach-Box: Umfassende Unterstützung für Kinder und Pädagogen*innen

Die MutMach-Box besteht aus sorgfältig ausgewählten Materialien, die in sechs zentrale Themenbereiche gegliedert sind: Gefühle, Prävention, Diversität, Empowerment, Kinderrechte und Fachliteratur. Diese Struktur stellt sicher, dass sowohl die Kinder als auch die Pädagogen*innen auf umfassende und effektive Weise unterstützt werden.

  • Im Bereich „Gefühle“ geht es darum, den Kindern zu helfen, ihre Emotionen zu erkennen, zu benennen und auszudrücken. Dies ist ein zentraler Schritt, um sie in ihrer emotionalen Entwicklung zu fördern und ihnen das Rüstzeug zu geben, sich selbst zu schützen. Emotionale Kompetenz bildet die Grundlage für Resilienz und hilft den Kindern, sich in schwierigen Situationen zurechtzufinden.
  • Der Bereich „Prävention“ bietet altersgerechte Materialien, die das Selbstbewusstsein der Kinder stärken und sie darin unterstützen, in problematischen Situationen klar ihre Grenzen zu setzen. Sie lernen, „Nein“ zu sagen und sich selbst zu schützen, was entscheidend ist, um einem Missbrauch von Macht oder Gewalt vorzubeugen – sei es im privaten oder institutionellen Kontext. Ebenso ist es von großer Wichtigkeit, Themen wie „gute und schlechte Geheimnisse“ und „Hilfe holen“ zu thematisieren. 
  • Das Thema „Diversität“ sensibilisiert die Kinder für Vielfalt in unserer Gesellschaft. Es fördert das Verständnis und die Akzeptanz für Unterschiede und hilft ihnen, ein gesundes Miteinander zu entwickeln. Diversität anzuerkennen und zu schätzen, ist besonders wichtig, um Vorurteile abzubauen und ein inklusives Umfeld zu schaffen.
  • Im Bereich „Empowerment“ lernen die Kinder, ihre Stärken und Fähigkeiten zu erkennen und ihre Lebenswelt aktiv mitzugestalten. Sie werden ermutigt, ihre eigene Stimme zu nutzen und selbstbewusst ihre Interessen zu vertreten. Kinder sollen als aktive Mitgestalter ihrer Umwelt ko-konstruktiv und partizipativ teilhaben dürfen. Durch ihre Beteiligung entwickeln sie nicht nur Verantwortung und Selbstbewusstsein, sondern lernen auch, dass ihre Ideen und Meinungen wertvoll sind und die Welt um sie herum prägen können.
  • Der Bereich „Kinderrechte“ vermittelt den Kindern auf verständliche Weise, welche Rechte sie haben und wie sie diese einfordern können. Dies ist ein wichtiger Teil des Kinderschutzes, denn Kinder, die ihre Rechte kennen, können sich gegen Ungerechtigkeiten und Gewalt wehren.

Die Fachliteratur in der MutMach-Box bietet den Pädagogen*innen theoretische und praktische Unterstützung, um die gewaltfreie Kommunikation und Prävention im Alltag zu stärken. Sie enthält wertvolle Anregungen, wie die Themen Kinderschutz, Diversität und Empowerment gezielt und wirkungsvoll in den Alltag integriert werden können.

Umsetzung der MutMach-Box im Alltag: Ein Werkzeug für den proaktiven Kinderschutz

Die MutMach-Box ist nicht nur eine theoretische Sammlung von Materialien, sondern ein praktisches Werkzeug, das Pädagogen*innen im täglichen Umgang mit den Kindern unterstützt. Sie wurde so konzipiert, dass sie sich leicht in den Alltag integrieren lässt. Dadurch können die zentralen Themen – wie Gefühle, Prävention, Diversität und Kinderrechte – altersgerecht und kontinuierlich behandelt werden.

Pädagogen*innen können die MutMach-Box flexibel einsetzen, sei es in geplanten Impulsen oder in spontanen Gesprächen, wenn ein akutes Thema aufkommt. Besonders die Kinderrechte werden gezielt in den Alltag eingebunden, sodass die Kinder lernen, ihre Rechte zu verstehen und sich für diese stark zu machen. Durch die spielerische und kindgerechte Aufbereitung der Inhalte erlangen sie das nötige Wissen und die Fähigkeiten, um selbstbewusst und sicher mit schwierigen Situationen umzugehen.

Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass die MutMach-Box einen spürbaren Mehrwert in der alltäglichen Arbeit bietet. Pädagogen*innen erhalten nicht nur praktische Hilfestellungen, sondern auch das nötige Handwerkszeug, um auf komplexe Situationen schnell und professionell zu reagieren. Die beiliegenden Checklisten und Notfallkontakte erleichtern es, im Ernstfall sofort die richtigen Maßnahmen zu ergreifen und den Kinderschutz effektiv umzusetzen.

Kinderschutz als fortlaufender Prozess: Erkenntnis und Weiterentwicklung

Kinderschutz war für uns immer ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Schon vor der Einführung der Mutmach-Box haben wir uns intensiv mit dem Schutz der Kinder vor Gewalt auseinandergesetzt. Dennoch wurde im Laufe der Zeit klar, dass wir uns weiterentwickeln müssen. Gewalt hat viele Gesichter – sie tritt in verschiedenen Formen auf, nicht nur im familiären Umfeld, sondern auch innerhalb institutioneller Strukturen. Gerade in Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen, die für Kinder ein sicherer Raum sein sollten, ist es unerlässlich, die eigenen Strukturen und Praktiken regelmäßig zu hinterfragen.

Die Teilnahme an einem Lehrgang des Netzwerks Vielfalt war ein Schlüsselmoment in unserer Entwicklung. Es wurde deutlich, dass es nicht nur um äußere Schutzmaßnahmen geht, sondern auch um eine innere Haltung, die jede*r Einzelne von uns verinnerlichen muss. Kinderschutz ist mehr als die Prävention von Gewalt – es bedeutet, Kindern einen Raum zu bieten, in dem sie sich sicher und frei entwickeln können.

Gemeinsam mit meinem Team und insbesondere mit meiner Kollegin Tanja Thaler, einer erfahrenen inklusiven Elementarpädagogin, haben wir uns diesem Wandel verschrieben. Wir mussten alte Denkmuster loslassen und neue pädagogische Ansätze etablieren, die dem modernen Verständnis von Kinderschutz entsprechen. Dieser Prozess war nicht immer einfach, da er uns alle zwang, tief verwurzelte Überzeugungen zu hinterfragen. Doch letztlich haben wir erkannt, dass diese Veränderungen notwendig sind, um den Kindern die bestmögliche Unterstützung zu bieten.

Der Prozess alte Denkmuster loszulassen und neue pädagogische Ansätze zu etablieren, war nicht immer einfach, da er uns alle zwang, tief verwurzelte Überzeugungen zu hinterfragen.

Schlussgedanken: Verantwortung für den Kinderschutz übernehmen

Kinderschutz ist mehr als die Prävention von Gewalt – es ist eine Grundhaltung, die in jeder pädagogischen Einrichtung verankert sein sollte. Die MutMach-Box ist ein wertvolles Werkzeug, doch es braucht als allererstes Menschen, die Kinderschutz und Kinderrechte als pädagogische Haltung im Herzen tragen. 

Kinder sind unsere Zukunft – das müssen wir ihnen nicht nur sagen, sondern auch zeigen, indem wir ihre Individualität stärken, ihnen die Welt in all ihrer Vielfalt eröffnen und sie zu resilienten, selbstbestimmten Menschen begleiten. Als Pädagogen*innen tragen wir die Verantwortung, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem sie wachsen und sich entfalten können. 

In diesem QR-Code haben die beiden Autorinnen zur Website von "Netzwerk Vielfalt", zu einer Literaturliste und zum Video der MutMach-Box verlinkt.
Lena Lechner
Lena Lechner

Lena Lechner ist Leiterin des Kindergarten Endach in Kufstein. Der Kindergarten Endach hat sich schon lange für Kinderschutz stark gemacht, doch ihr und dem Team wurde klar, dass sie die pädagogischen Ansätze weiterentwickeln und sie sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Aus diesem Anliegen heraus ist die MutMach-Box entstanden.

Tanja Thaler
Tanja Thaler

Tanja Thaler ist Kindergartenpädagogin und Fachberaterin für Inklusion im Kufsteiner Kindergarten Endach. Aus dem Wunsch heraus, die Selbst- und Ich-Kompetenz der Kinder zu stärken und Kinderschutz zu einem aktiven und sichtbaren Teil unseres Alltags zu machen, ist in Zusammenarbeit mit dem Team die MutMach-Box entstanden.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-ND.

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