Demokratiepädagogik in der Schule

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Demokratiepädagogik in der Schule ist mehr als nur ein Unterrichtsthema; es ist eine lebenswichtige Praxis, die Schülerinnen und Schüler auf ihre Rolle als aktive und informierte Bürger vorbereitet. Demokratiepädagogik soll eine Plattform für kritisches Denken, Dialog und Verständis für die Bedeutung von Bürgerbeteiligung und Menschrechte sein. 

Von der Theorie zur Praxis

Welcher theoretische Ansatz und welche Zielsetzungen hinter dem politischen Bildungskonzept der Demokratiepädagogik stecken und wie das Ganze in unserem österreichischen Schulsystem verankert ist, war bereits Inhalt des ersten Teils dieses Artikels. In aller Kürze kann festgehalten werden, dass Demokratiepädagogik eine Form des sozialen Lernens darstellt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein friedliches Miteinander zu fördern, indem das breite Themenfeld der Demokratie erfahrungsbasiert vermittelt wird. Methoden des sozialen Lernens lassen sich naturgemäß nicht nur einem Fachgebiet zuordnen.

Nahezu alle Unterrichtsgegenstände können demokratiepädagogische Übungen einsetzen und dadurch einen wertvollen Beitrag für die soziale und politische Kompetenz unserer Schüler*innen leisten. 
In diesem Beitrag wenden wir uns nun dieser praktischen Umsetzung in der Schule zu. Wie können Begriffe wie „Chancengleichheit“, „Freiheit“ oder der „Schutz von Minderheiten“ mit Leben befüllt werden? Eine Antwort darauf habe ich persönlich in dem Bildungskonzept Betzavta gefunden, welches ich im Folgenden kurz vorstellen möchte.

 

Betzavta – Mehr als eine Demokratie

Ursprünglich wurde dieses Bildungskonzept in den 1980er Jahren am Adams Institute for Democracy and Peace in Israel entwickelt, mit der Zielsetzung, dem Langzeitkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern entgegenzuwirken. Für Deutschland wurde das Konzept durch das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) Mitte der 90er Jahre adaptiert und seitdem auch verbreitet.

Betzavta möchte Toleranz für Andersdenkende fördern. Doch wie kann man Toleranz lehren? Es handelt sich hierbei nicht um einen „klassischen Unterrichtsinhalt“, den man erklärt und dann weiß jeder oder jede, wie man vorzugehen hat. Betzavta versucht, wertebasierte Inhalte zu vermitteln, indem die Übungsteilnehmer*innen emotional involviert werden.

Man beginnt sich in andere Positionen hineinzudenken, weil man den Konflikt gerade selbst spürt. Betzavtaübungen arbeiten im Gegensatz zu Rollenspielen nicht mit vorgegebenen Perspektiven, die man einnehmen soll, sondern man erlebt durch die Aufgabenstellung eine Art von Konflikt, eine „Dilemmasituation“, die man lösen möchte. Am besten wird dieser Ansatz durch ein praktisches Beispiel erklärt. Mit einigen Klassen habe ich selbst die Übung „Schokoladenspiel“ durchgeführt, auf Basis derer man einen Einstieg in Themen wie „Chancengleichheit“, „Gerechtigkeit“ oder auch das im Lehrplan des Faches Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung vorgeschriebene Basiskonzept „Macht“ entwickeln kann. Die Durchführung dieser Übung empfiehlt sich ab der 8. Schulstufe. 

Verschiedene Schokoladensorten

Das Schokoladenspiel

Das Klassenzimmer wird zum Spielbrett und die Schüler*innen zu Spielfiguren. Insgesamt legt man 25 durchnummerierte Spielfelder (A3 Blätter) auf. Ein paar von ihnen werden durch ein beigefügtes Sternchen zu einem besonderen Feld, einem sogenannten Sternchenfeld. Auf der Nr. 25 liegt der große Gewinn, eine Tafel Schokolade. Die Schüler*innen teilen sich in gleich große Gruppen auf und jede Gruppe stellt stellvertretend eine Person als Spielfigur auf das Spielfeld.
Wo die jeweilige Spielfigur startet, entscheidet ein Los, somit starten nicht alle von der gleichen Position. Durch Würfeln kommen die Spielfiguren vorwärts. Sobald eine Figur ein Sternchenfeld erreicht, wird es spannend, denn nun darf sich die Gruppe beraten und ein Spielgesetz erlassen, welches an der Tafel, für alle sichtbar, aufgeschrieben wird. Die Lehrperson begleitet den Prozess als Moderator*in, sie mischt sich jedoch nicht in die Verabschiedung der Gesetze ein.
Da der Großteil der Gesetze sehr eigennützig formuliert ist und nicht dem Gemeinwohl dient, wird es in dieser Spielphase meist sehr emotional. Wenn das Gesetz beispielsweise lautet „Alle Spieler*innen außer Stefan müssen zurück auf die Nr. 1“, kann das lautstarke Proteste hervorrufen. Das Spiel schafft „Gewinner*innen“ und „Verlierer*innen“ und die müssen im Anschluss, durch die Lehrperson geleitet, reflektieren, wie dieses Spiel verlaufen ist.

Mögliche Reflexionsfragen wären beispielsweise:

  • Wie ist es euch ergangen?
  • Wie habt ihr euch während des Spiels verhalten?
  • Waren die Spielbedingungen für alle gleich?
  • Welches Verhalten ist dadurch entstanden? 
     

Die Mehrheit der Übungsteilnehmer*innen empfindet das Schokoladenspiel meiner Erfahrung nach als unfair, weshalb es dringend notwendig ist, genügend Zeit für die Nachbesprechung einzuplanen, um diese Emotionen auch richtig einordnen und reflektieren zu können. Anschließend versucht man, diese Emotionen zu nutzen, indem eine Diskussion zu demokratischen Werten angeregt wird. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bildete für mich diesbezüglich immer eine gelungene Brücke, mithilfe derer ich den demokratischen Wert der Gleichheit einleitete. In der anschließenden Diskussionsphase entwickelten sich dann in jeder Klasse unterschiedliche, weiterführende Themen. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in unserer Gesellschaft, Zuwanderung nach Europa oder auch allgemeine Themen, wie Macht und Machtverteilung wurden unter anderem lebhaft besprochen.  


Durch das Schaffen von emotionaler Involviertheit bzw. Betroffenheit entsteht bei den Schüler*innen eine gute Basis für einen Lernerfolg. Manche von ihnen erleben sogar eine Art „Aha-Effekt“ und genau darauf zielt Betzavta ab! Durch Emotionen lernen wir und speichern das Gelernte auch besser ab. In dem Buch „Mehr als eine Demokratie“ von Uki Maroshek-Klarman und Saber Rabi kann diese und noch weitere 72 Betzavtaübungen und der didaktische Hintergrund dieses besonderen Bildungskonzepts nachgelesen werden. Doch natürlich gibt es noch weitere wichtige Adressen, die uns Lehrpersonen mit demokratiepädagogischen Ansätzen und Unterrichtsmaterialien für die Politische Bildung versorgen. 

Schriftzug Democracy auf einer Steinmauer

Weitere Adressen für demokratiepädagogisches Unterrichtsmaterial

In Österreich haben sich in der Förderung der Politischen Bildung allen voran das „Zentrum Polis – Politik lernen in der Schule“ und das „Forum Politische Bildung“ hervorgetan, indem sie nicht nur davon berichten, wie wichtig es ist, Demokratie als Lebensform in unserer Gesellschaft zu installieren, sondern auch praktische Beispiele dafür anbieten.

Auf der Website des „Forum Politische Bildung“ findet man beispielsweise eine umfangreiche Sammlung von Unterrichtsbeispielen, welche nach Schulstufen und thematischen Kategorien unterteilt ist. Ein ähnliches Service bietet auch das „Zentrum Polis“ durch seine Praxisbörse, eine Onlinedatenbank, in welcher sich über 300 Unterrichtsbeispiele und Stundenbilder befinden. Einen sehr informativen Zugang ermöglicht die Website des Österreichischen Parlaments für Kinder und Jugendliche mit seiner Onlineplattform „Demokratiewebstatt“, hier findet man umfassendes Informationsmaterial zur Demokratie als Herrschaftsform. 

Eine weitere Institution, die ich nicht unerwähnt lassen möchte, stellt die Arbeiterkammer dar. In der sogenannten AK Werkstatt werden Planspiele zur Demokratie, Nachhaltigkeit und Wirtschaft und zudem auch Workshops angeboten. 


Diese Aufzählung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich neugierig machen und einen unkomplizierten Zugang zu demokratiepädagogischen Methoden bieten. Wie bereits eingangs erwähnt, kann Demokratielernen in jedem Fach stattfinden und so zu einem friedlicheren Miteinander beitragen – und das wäre doch was!

Hier den ersten Teil dieser Reihe lesen: Wie wir unsere demokratische Gesellschaft von Grund auf stärken können.
 

Linktipps & Literatur:  


 

Claudia Speer
Claudia Speer MMag.

Claudia Speer hat das Diplomstudium der Geschichte an der Universität Graz und das Lehramtsstudium in den Unterrichtsfächern Deutsch und Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung an der Universität Innsbruck absolviert. Sie unterrichtet seit 2018 an der Praxismittelschule der PH Tirol, wo sie neben ihrer Unterrichtstätigkeit auch versucht partizipative Elemente an der Schule zu fördern.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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