Individuelles Lernen von Schüler*innen und dessen Auswirkungen auf Lehrpersonen

Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Thema „Individuelles Lernen von Schüler*innen und dessen Auswirkungen auf uns Lehrpersonen“. Wir Lehrer*innen handeln in einem vorgegebenen Rahmen.
Wie wir allerdings das Innenleben dieses Rahmens gestalten, bleibt uns überlassen. In diesem Sinne ist es möglich, die Schüler*innen frei entscheiden zu lassen, in welcher Reihenfolge Themen bearbeitet werden.
Aber auch das „WIE lerne ich?“ spielt bei der Partizipation eine Rolle. Was bedeutet eine freie Wahl der Lernmethode für mich als Lehrer*in und meinen Unterricht bzw. für meine Vorbereitung? 

Rahmenbedingungen von Partizipation in der Schule


Wir Lehrer*innen arbeiten in einem bestimmten Rahmen, welcher uns vorgegeben ist. Dieser Rahmen ist verfassungsrechtlich (vgl. Andergassen, 2020) im Schulorganisations- und Schulunterrichtsgesetz festgelegt. Zu unserem vorgegebenen Rahmen gehören unter anderem Stundenpläne, verschiedene Unterrichtsgegenstände sowie Lehrpläne. Wir Lehrer*innen haben nicht nur die Aufgabe, Unterricht so zu gestalten, dass unsere Schüler*innen Neues dazulernen. Wir haben dabei ebenso den Auftrag, die Schüler*innen „zur Selbsttätigkeit und zur Mitarbeit in der Gemeinschaft anzuleiten“ und „jede*n Schüler*in nach Möglichkeit zu den seinen Anlagen entsprechenden besten Leistungen zu führen“ (§17 des Schulunterrichtsgesetzes). Wie wir es schaffen, die Schüler*innen zu ihren bestmöglichen Leistungen zu führen, hängt von uns ab. Als Lehrpersonen haben wir die Möglichkeit, Lernstrategien und Arbeitstechniken anzubieten, mit deren Hilfe Lernen selbstständig und eigenverantwortlich stattfinden kann. (vgl. Bovet, 2014, S. 238)

 

Als Lehrpersonen haben wir die Möglichkeit, Lernstrategien und Arbeitstechniken anzubieten, mit deren Hilfe Lernen selbstständig und eigenverantwortlich stattfinden kann.

 

Zwei Jungs sitzen auf einer Wiese und lesen
Wie geht erfolgreich lernen?

Lernen? Einfach gesagt. 


Immer wieder kommen Schüler*innen auf uns als Lehrpersonen zu und erklären: „Ich habe so viel gelernt und mich wirklich gut auf die Prüfung vorbereitet. Trotzdem habe ich in der Schularbeit ein „Nicht genügend“ geschrieben.“ Wenn wir erfolgreich lernen wollen, hängt dies von neun wesentlichen Faktoren ab: Konzentration, Gehirn, Lernstrategien, Lernorganisation, Motivation, Selbsteinschätzung, Unterstützung, Ressourcen und Prüfungskompetenz (Komarek, 2010). Allen voran steht das Gehirn. Dies wirkt wie ein Motor. Damit unser Motor Gehirn gut funktioniert, braucht es entsprechende Nahrung, wie Sauerstoff, Obst, Gemüse, Nüsse, Wasser. Wird unser Gehirn ausreichend versorgt und sind innere wie äußere Störfaktoren abgestellt, kann Konzentration stattfinden. Unsere Aufmerksamkeit kann somit „zu einem bestimmten Zeitpunkt, für eine bestimmte Dauer und an jedem beliebigen Ort auf eine bestimmte Aufgabe oder Person“ (Komarek, 2010, S. 50) gerichtet werden. Haben wir unsere Schularbeiten-/Test-/Hausaufgabenabgabetermine im Blick und wissen wir, wann wir welches Unterrichtsmaterial brauchen, funktioniert unsere Lernorganisation. 

In individuellen Gesprächen mit unseren Schüler*innen können wir herausfinden, welche Lernstrategien sich bereits bewährt haben, wie die persönliche Lernmotivation ist, aber auch welche Unterstützung die Kinder und Jugendlichen von anderen erwarten bzw. brauchen, um erfolgreich lernen zu können. Ressourcen haben einen Einfluss auf die eigene Prüfungskompetenz sowie die Selbsteinschätzung. Bin ich mir meiner Talente, Fähigkeiten und Stärken in Bezug auf mich und auf das Lernen bewusst, habe ich bessere Voraussetzungen, eine Prüfung gut abzuschließen, als wenn Selbstvertrauen und Selbsteinschätzung fehlen. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stärken sowie der Glaube an sich selbst sind wesentliche Erfolgsfaktoren. 

Welche Lernstrategien wählen wir für unsere Schüler*innen aus, damit diese neues Wissen erlangen? Verschiedene Möglichkeiten wie Lehrer*innenvorträge, Internetrecherchen, Unterstützung durch Mitschüler*innen, Lehrer*innen oder Eltern sowie Buchrecherchen helfen, Faktenwissen zu reproduzieren (Bovet, 2014, S. 238). Für mich als Lehrerin ist von Bedeutung, dass die Kinder und Jugendlichen immer wieder selbst entscheiden können, wie sie lernen wollen bzw. welche Lernstrategien sie anwenden möchten. Als Lehrpersonen können wir unseren Schüler*innen eine Art Lernstrategienbuffet geben. Doch wer welche Lernstrategie wählt, ist die persönliche Entscheidung von jeder*jedem einzelnen Schüler*in selbst. Keller betont die Bedeutung der Lern- und Arbeitsstrategien in der Sekundarstufe. Bis zu 40 Prozent der Schulleistungsunterschiede können auf Lern- und Arbeitsstrategien zurückgeführt werden (Bovet 2014, S. 239-240). 

Eine Gruppe Schüler*innen und zwei Lehrerinnen stehen im Kreis und sind beim Reden
Welche Lernstrategien wählen wir für unsere Schüler*innen aus, damit diese neues Wissen erlangen?

Von der Lehrperson zum Coach


Wir Lehrer*innen stehen tagtäglich vor der Aufgabe, Schüler*innen in inklusiven und heterogenen Lerngruppen individuell zu fördern. Hinzu kommt, die jeweiligen kognitiven und sozialen Fähigkeiten, das Lernverhalten der Schüler*innen sowie ihre emotionalen Bedürfnisse vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Geschichte wahrzunehmen und differenziert zu entwickeln (Lehmann 2015, S. 5). In diesem Sinne sind wir Lehrpersonen nicht nur Wissensvermittler*innen, sondern auch Coaches (engl. to coach, „trainieren, betreuen“). Mithilfe eines Coaches können die Kinder und Jugendlichen für sich eigene Wünsche und Ressourcen klären sowie Ziele für das persönliche Lernen entwickeln. Coaching-Methoden sind sowohl für einzelne Personen als auch für die Klassengemeinschaft von großem Vorteil. Nicht nur in sozialer, sondern auch in fachlicher Hinsicht können Verbesserungen erzielt werden (Lehmann 2015, S. 8). Damit ich als Lehrperson gut als Coach arbeiten kann und von den Schüler*innen als Coach akzeptiert werde, sind bestimmte Voraussetzungen notwendig.


Zu allererst möchte ich auf eine stabile Schüler*innen-Lehrer*innen-Beziehung eingehen. Gert Lohmann definiert eine gute Beziehung wie folgt: „Eine professionelle Lehrer-Schüler-Beziehung hält eine gesunde Balance zwischen Distanz und Nähe. Sie ist mehr als ein rein geschäftliches, auf die Lehrtätigkeit bezogenes Verhältnis, welches alle anderen Belange ausschließt. Aber sie ist nicht so nah oder offen, dass die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verwischt.“ Wird sensibel und empathisch auf sein Gegenüber geachtet, kann ein aufrechter Austausch stattfinden. Ein Nebeneffekt einer guten Beziehung sind immer weniger werdende Disziplinprobleme. Desgleichen verbessert sich das Klassenklima durch einen veränderten Umgang miteinander (Lehmann 2015, S. 9).

 

Wird sensibel und empathisch auf sein Gegenüber geachtet, kann ein aufrechter Austausch stattfinden.

 

Ein weiterer Punkt, welcher zum Gelingen eines guten Lehrer*innen-Schüler*innen-Coachings beiträgt, ist die Selbstreflexion der Lehrperson. Aufgrund mangelnder Reflexion der eigenen Wahrnehmung führen Missverständnisse auf der Beziehungsebene oft zu Unstimmigkeiten. Persönliches Denken und Handeln, das Wahrnehmen der eigenen Einstellungen, Werte und Erwartungen müssen für eine gut gelingende Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen von der Lehrperson bewusst wahrgenommen werden. Demzufolge können das eigene Verhalten sowie persönliche Denkmuster kritisch hinterfragt werden. Nicht nur ich als Lehrperson muss stetig über mich reflektieren, auch das Gespräch mit den Schüler*innen selbst muss vom Coach reflektiert werden. Dadurch kann eine für die Schüler*innen geeignete Methodenauswahl für weitere Unterrichtsstunden getroffen werden (Lehmann 2015, S. 10).

Zwei Burschen beim Werken - einer arbeitet, einer schaut zu
In jeder Klasse sitzen so viele verschiedene Persönlichkeiten mit individuellen Lernstrategien.

 

Partizipation von Schüler*innen – Auswirkungen auf uns Lehrpersonen


Die Schüler*innen mit ins Boot zu holen, hat Auswirkungen auf uns Lehrpersonen und unsere Unterrichtsvorbereitung. Wie bereits oben erklärt, müssen wir auf eine entsprechende Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung achten. Dies hat für uns zur Folge, laufend mit unseren Schüler*innen ins Gespräch zu kommen und Empathie sowie Authentizität zu zeigen. So schaffen wir es, Vertrauen zu den Kindern und Jugendlichen aufzubauen und demzufolge entseht eine gute Arbeitsbasis.

Partizipation von Schüler*innen bedeutet für uns Lehrpersonen auch, eine noch differenziertere Unterrichtsvorbereitung, als wir schon haben. Gehe ich auf die Schüler*innen und ihren persönlichen Lernstrategien ein, ist bereits in meiner Vorbereitung eine Methodenvielfalt notwendig. Eine entsprechende Auswahl an Methoden bedeutet wiederum weg vom Frontalunterricht und hin zu offenen Lehr- und Lernformen. Dies können u. a. Freiarbeit, Planarbeit oder Projektarbeit sein. 

In jeder Klasse sitzen viele verschiedene Persönlichkeiten mit individuellen Lernstrategien. Auch wenn nicht auf jede Lernstrategie eingegangen werden kann, haben wir schon viel geschafft, wenn wir uns dessen bewusst sind, dass jedes Kind anders ist und anders lernt. Kinder bei der Gestaltung des Unterrichts und der Methoden mitbestimmen zu lassen, bedeutet für uns Lehrer*innen Offenheit, neue Wege zu gehen. Partizipation von Schüler*innen ist die Zukunft. Wünsche und Ressourcen der Schüler*innen können geklärt, Ziele für das persönliche Lernen entwickeln werden (Lehmann 2015, S. 10). Lehrpersonen können die Kinder und Jugendlichen dabei unterstützen. Nehmen wir die Herausforderung an!  
 

Literatur

Literatur:

  • Bovet, G., Huwendiek, V. (2014): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. Cornelsen.
  • Komarek I. (2010): Ich lern einfach!. Das NLP-Programm für effektive Lerntechniken. Südwest.
  • Lehmann K. (2015): Lehrer coachen Schüler. Methoden und Arbeitsblätter zu Selbstreflexion, Persönlichkeitsentwicklung und positivem Denken. Verlag an der Ruhr.

 

Sabine Gross
Sabine Gross BEd BA MA

Sabine Gross ist Lehrerin, Lerncoach und Lerntrainerin an der Praxismittelschule an der PHT

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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