Gemeinsam gegen Gewalt und Mobbing

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Im Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern heißt es, dass jedes Kind den Anspruch auf Schutz und Fürsorge hat. Bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sollen gewährleistet werden. Gewalt und Mobbing haben schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit von Kindern und stehen somit diesen Zielen entgegen. Bis zu 10 % der Schüler*innen in Österreich berichten von regelmäßiger Gewalt in der Schule. Im Artikel werden Mechanismen hinter Mobbing aufgezeigt, die das System aufrechterhalten. Es liegt an uns, Verantwortung zu übernehmen und Haltung gegen Mobbing einzunehmen. Null Toleranz bei Gewalt!

 

Alarmierende Zahlen

Die Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) der World Health Organization (WHO) ist wohl eine der bekanntesten Studien, die seit nahezu 40 Jahren die Erfahrungswelten von Kindern und Jugendlichen aus 50 verschiedenen westlich geprägten Ländern erheben und vergleichen. Die Studienergebnisse aus dem Jahr 2018 legen nahe, dass je nach Schulstufe bis zu 10 % (in der 5. und 7. Schulstufe) regelmäßig Mobbing - Erfahrungen machen. In den höheren Schulstufen (9. und 11. Schulstufe) nimmt die Zahl der Betroffenen etwas ab und es berichten 6 % der Schüler*innen von Mobbing - Erfahrungen. Signifikante Unterschiede gibt es hierbei bei den Tätern*innen. Generell sind Burschen bei Gewalthandlungen voran. So sind in den oberen Schulstufen bis zu viermal mehr Burschen aktiv an Mobbinghandlungen beteiligt. Signifikante Geschlechterunterschiede bei Mobbingopfern gibt es nur in der 11. Schulstufe, auch hier sind mehr Burschen betroffen.

In einer aktuellen Studie aus Österreich vom Institut für Jugendkulturforschung und Kulturvermittlung aus dem Jahr 2020 zum Thema „Recht auf Schutz vor Gewalt“, in Auftrag gegeben von der Kinder- und Jugendanwaltschaft Oberösterreich, zeigen sich vergleichbare Ergebnisse. In der unter 1000 österreichischen Jugendlichen (repräsentativ ausgewählt zwischen 14 und 18 Jahren) durchgeführten Studie berichten 36 % der Befragten, dass es in der Schule am ehesten zu Bedrohungen und Gewalt kommt. 13 % berichten davon, dass es an ihrer Schule häufig zu Gewalt und Mobbing kommt, weitere 44 % sagen, dass es ab und zu dazu kommt. Zu einer weiteren Frage, ob es auch zu Gewalt und Mobbing von Lehrpersonen gegen Schüler*innen kommt, konnte nur ein Drittel berichten, dass dies noch nie vorgekommen ist.hren) durchgeführten Studie berichten 36 % der Befragten, dass es in der Schule am ehesten zu Bedrohungen und Gewalt kommt. 13 % berichten davon, dass es an ihrer Schule häufig zu Gewalt und Mobbing kommt, weitere 44 % sagen, dass es ab und zu dazu kommt. Zu einer weiteren Frage, ob es auch zu Gewalt und Mobbing von Lehrpersonen gegen Schüler*innen kommt, konnte nur ein Drittel berichten, dass dies noch nie vorgekommen ist.

Ein neutraler Spielkegel steht einer ganzen Gruppe gleichfarbiger Spielkegel gegenüber.

Mobbing und Gewalt

Gewalt und Mobbing sind nicht nur im Kontext Schule zu verurteilen, sondern sind als gesamtgesellschaftliches Problem anzusehen. Schubarth (2019) nennt es eine „soziale Krankheit“, die nur gemeinsam als Gesellschaft behandelt werden kann.

Folgende Formen von Gewalt werden unterschieden:
körperliche Gewalt, psychische Gewalt (verbal, nonverbal, indirekt, digital), sexualisierte Gewalt. 

Schubarth nennt Vandalismus als eine eigenständige Gewaltform im Kontext Schule. Fremdenfeindliche Gewalt und Geschlechterdiskriminierung werden vom Autor ebenso als eigenständige Gewaltformen genannt. Im Erziehungskontext könnte  des Weiteren die Vernachlässigung ergänzt werden.

Schubarth stellt in seinem Buch „Gewalt und Mobbing an Schulen“ (2019) die Zusammenhänge übersichtlich dar. Weiters ergänzt er: „Mobbing und Bullying sind immer auch Aggressions- und Gewalthandlungen, aber nicht jede Aggressions- und Gewalthandlung ist auch Mobbing oder Bullying.“ (Schubarth, 2019, S 37)

Charakteristisch für Mobbing sind laut Schubarth (2019) folgende spezifischen Merkmale:

  • zielgerichtete Schädigungshandlung: körperlich, verbal, nonverbal
  • Häufigkeit und Dauer: wiederholt und über eine längere Zeit
  • Ungleichgewicht der Kräfte: Der*die Schüler*in ist alleine nicht in der Lage, aus der Mobbingsituation herauszukommen.

Wallner (2018) fügt den drei genannten Merkmalen das Merkmal Hilflosigkeit bei: Die Schüler*innen fühlen sich hilflos der Situation ausgeliefert, ihr Handlungsspielraum ist stark eingeschränkt.

Skizze: Mobbing und Gewalt

Mobbing - eine systemische Betrachtung

In der Handreichung „Mobbingprävention im Lebensraum Schule“ erklärt Wallner (2018) das Mobbing - Geschehen systemisch und sieht folgende Rollen (Salmivalli et al., 1996 nach Wallner 2018):

Täter*innen ergreifen die Initiative, um jemanden aktiv zu schikanieren und zu attackieren, sie übernehmen die Führungsrolle in der Gruppe

Betroffene sind den negativen Handlungen ausgesetzt und sind in der Situation nicht in der Lage, das Mobbing eigenständig zu beenden

Assistent*innen orientieren sich am Verhalten der Täter*innen und beteiligen sich aktiv an den Handlungen

Verstärker*innen sehen beim Mobbing zu, lachen mit und feuern Täter*innen an und verstärken dadurch die Handlungen der Täter*innen

Zuseher*innen b.z.w. Außenstehende sind jene Schüler*innen, die die Mobbinghandlungen zwar miterleben, sich aber heraushalten und nicht einmischen, das passive Verhalten wird als Billigung verstanden.

Wallner (2018) schreibt den Zuseher*innen b.z.w. Außenstehenden eine zentrale Rolle zu: „Mobbing wird erst durch Außenstehende ermöglicht, die nicht intervenieren beziehungsweise einschreiten. Sie ermöglichen den weiteren Ablauf des Mobbing - Prozesses durch ihre stillschweigende Akzeptanz ...“ (S 25).

Unterstützer*innen stellen sich auf die Seite der Betroffenen und unterstützen sie, es wird auch schon als hilfreich erachtet, wenn die Betroffenen emotionalen Zuspruch erhalten

Lehrpersonen und/oder Führungskräfte: Diese können jede im System dargestellte Rolle übernehmen, sind aber als Erwachsene besonders in der Verantwortung, ihre eigene Rolle im Mobbing - Prozess zu reflektieren und präventiv oder interventiv zu agieren

Betroffene von Mobbing leiden oft langwierig an den Folgen der Gewalterfahrungen. Neben körperlichen Auswirkungen wie Schlafstörungen, Magen- und Kopfschmerzen und Kreislaufproblemen leiden viele von Mobbing Betroffene an psychischen Folgen. Dies kann sich im Verlust des Selbstwertes und des Selbstvertrauens, Verstärkung von Emotionen wie Wut, Trauer, Angst und Einsamkeit zeigen bis hin zu Essstörungen, depressiven Verstimmungen, selbstverletzendem Verhalten und Suizidgedanken.

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Verwendung der Grafik unter Zitation der Publikation des ÖZEPS „Mobbingprävention im Lebensraum Schule“, Wallner et. al., 2018 und der Angabe der Grafikerin „© Goldmädchen“.

Haltung gegen Gewalt und Mobbing

Olweus (2011) nennt zwei zentrale Bedingungen für unabdingbar, um Mobbing und Gewalt am Schulstandort zu reduzieren. Die handelnden Erwachsenen an der Schule müssen ein gewisses Maß an Problembewusstsein haben. Sie müssen Gewalt und Mobbing in ihren Anfängen erkennen und benennen können. Des Weiteren muss ein „Betroffensein“ der Erwachsenen feststellbar sein, das wiederum in einen ernsthaften Veränderungswunsch mündet. 

Des Weiteren nennt er folgende Maßnahmen auf Schulebene als zentral, um Mobbing zu reduzieren: Fragebogenerhebungen zur Eruierung eines  Ist-Standes und die Gestaltung eines Pädagogischen Tages zur Sensibilisierung des Lehrkörpers. Bessere Aufsicht während der Pausen und des Essens und eine verbesserte Kooperation zwischen Lehrpersonen und Erziehungsberechtigten wirken präventiv.

Auf Klassenebene wirken Klassenregeln gegen Gewalt. Regelmäßige Klassengespräche und Rollenspiele stärken den Zusammenhalt und fördern die Empathie der Schüler:innen. Des Weiteren verbessern kooperatives Lernen und gemeinsame Klassenaktivitäten ein positives Lernumfeld.

Auf persönlicher Ebene sind bei aktuellen Vorfällen ernstgemeinte Gespräche mit allen Beteiligten zu führen. Ein erprobtes Instrument in diesem Zusammenhang ist die Farsta-Methode, die in der Berliner Anti-Mobbing-Fibel ausführlich beschrieben wird.

Primär liegt es in der Verantwortung der Erwachsenen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Kinder und Jugendliche bestmögliche Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung und Entfaltung vorfinden. Dies gilt zum einen natürlich für die Familie, jedoch sollte es selbstverständlich auch für alle österreichischen Bildungseinrichtungen gelten.


Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte der Kinder:

Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes die vorrangige Erwägung sein.

David Kitzbichler
David Kitzbichler Mag.

David Kitzbichler ist Klinischer - und Gesundheitspsychologe. Er arbeitet als Schulpsychologe der Bildungsdirektion Tirol in der Beratungsstelle Innsbruck - Stadt.

Dieser Artikel erscheint unter Creative Commons, BY-NC-SA.

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