Sie kennen wahrscheinlich, sofern Sie bereits zum älteren Lesepublikum zählen, die Ausschneidebögen, mit denen früher die Kinder gearbeitet haben. Prinzen und Prinzessinnen aus Bilderbögen ausschnitten und sie auch unterschiedlich einkleiden konnten. Irmgard Hierdeis liefert mit ihrem neuen Buch „Musica & Amore“ einen solchen Schnittbogen an Bildern. Woher kommen diese Bilder? Sie kommen aus der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Und das Ambiente dazu? Sie zeigt Kulissen. Da tauchen sie auf: Farben und Gerüche des heraufkommenden Barocks mit seinen auch im niederen Adel zeremoniellen und habituellen Korsetts. Ein Gerüst, voll der dazugehörigen Bilder, das erst gut 70 Jahre später aufklärerisch ins Wanken geriet.
Eine der ausgeschnittenen Figuren ist Herr Müllerson, der aus dem Leben der Heiligen liest. Sein dialogisch-weibliches Vis-à-vis meint denn: „Ich schaue dann in das vertraute Gesicht von Herrn Müllerson und habe manchmal das Gefühl, er wandelt sich beim Lesen in einen der heiligmäßigen Männer von denen er erzählt.“ (S. 13).
Oft schon dachte ich mir, dass bei solchen Anlässen eine Art Mimesis entsteht. Geschriebenes, Gemaltes, Komponiertes leuchtet durch. Mann/Frau ersteht. Und wohl auch entsteht.
Franceso ist ein anderer Partner auf dieser musikalischen Liebesreise. Er lotet echogrammatisch die Tiefe zu Musik und Liebe aus: „Wir verschmelzen mit den Tönen und werden selbst zu Musik“ (S. 37). Immer wieder verdichtet die Autorin das Dialogfeld. So wirken ja Töne, Buchstaben, Zahlen und Farben, Leuchtfeuer in den Weisheitsbüchern der Menschheit auf uns. Die astronomische Kunst der Gotik hat daraus zum Beispiel Gesamtkunstwerke gemacht und vieles aus ursprünglich jüdischen Weltkompositionen in Spannung, Ton und Farbe gegossen.
Irmgard Hierdeis lässt die Farben, Gerüche, Stilformen, vor allem Menschenlandschaften, abkünftige, noch mehr sehnsüchtige Landschaften leuchten. Klänge spielen sich durch die Buchseiten, die Melodie der Hoffnung, dass Liebe gelingen möge, orchestriert die Autorin zu einem „Also-doch-gelungen“ von Liebenden, nicht nur einem gegenseitigen Zueinander, nein auch zur mütterlichen gegenspielenden Herkunftsperson. In Farb- und Tonbögen geleitet die Autorin zu den Hauptstädten italienischer Musica.
Zugleich lässt sie kontrapunktorisch Mentalitäten zwischen nördlichen und südlichen Landen spüren. Menschen- wie Weltbilder kommen dank Hierdeis über viele Brüche letztlich in heilenden Bruchstücken wieder zusammen. Dabei können sich Leserin wie Leser buchstabieren. Man möchte ja meinen, dass sei nur eine Geschichte von früher. Die Urmotive indes kleiden sich, je zeitgemäß mit verschiedenen Textilien und Texten (in beiden Fällen geht es um Verlaufsfäden), je zeitadaptiert, immer wieder neu die Dynamik an Sehnsucht und Abwehr, an Hoffnung und Erfüllung bleibt sich hingegen über die Zeiten und Gezeiten der Jahrhunderte hinweg immer gleich. So wird das liebenswerte Büchlein zu einem Lesebuch des eigenen „Lebens-ABC“.
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