Es geht nicht ums verzichten, es geht ums teilen.
Ich habe vor rund 15 Jahren in der TFBS für Installation und Blechtechnik Religion unterrichtet. Zu Beginn der Fastenzeit kam von den Schülern (es waren nur männliche in der Klasse) der selbe Einwand: Wozu verzichten? Daraufhin haben wir uns mit dem Propheten Jesaja beschäftigt, der eine gute Antwort gibt, worum es beim Fasten eigentlich geht. Unter anderem, bezugnehmend auf Jesaja 58,7, meinte ich: "Es geht nicht darum, auf die Fleischkässemmel zu verzichten, sondern sie mit anderen zu teilen". Als ich eine Woche später wieder ins Klassenzimmer kam, lag auf meinem Tisch eine halbe Fleischkässemmel. Es meldete sich ein Schüler und sagte: "Herr Fachlehrer, Sie haben gesagt, wenn schon eine Fleischkässemmel, dann soll man sie teilen". In der Pause haben wir dann gemeinsam gegessen.
Ich möchte für diese Fastenzeit unter dem Eindruck von Corona zum Anlass nehmen, den Text von Jesaja 58 näher vorzustellen und herauszuarbeiten, was fasten bedeuten kann.
#1 Fasten ist Aufmerksamkeit
Der Prophet Jesaja war einer der großen und lautstarken Sozialkritiker der damaligen Zeit. Und erstaunlicherweise gilt das, was er damals dem Volk Israel an den Kopf geworfen hat, auch für uns heute noch in nahezu unveränderter Weise.
Warum fasten wir und du [Gott] siehst es nicht? Warum haben wir uns gedemütigt und du weißt es nicht?
Seht, an euren Fasttagen macht ihr Geschäfte und alle eure Arbeiter treibt ihr an.
Seht, ihr fastet und es gibt Streit und Zank und ihr schlagt zu mit roher Gewalt.
So wie ihr jetzt fastet, verschafft ihr eurer Stimme droben kein Gehör.
Noch bevor Jesaja darauf eingeht, was Fasten eigentlich bedeutet, macht er eine wichtige Feststellung. Was auch immer Fastenzeit bedeuten mag, es geht zuerst einmal um das Unterbrechen des "täglichen Geschäfts". Man kann nicht fasten und gleichzeitig so tun, als ob nichts wäre. Es muss eine Auszeit sein, in der es die Möglichkeit gibt, zur Ruhe zu kommen. Einer der Hauptgründe, warum wir nicht zur Ruhe kommen können, sind die kleinen und großen täglichen Querelen in Beruf und Familie. Die muss ich zuerst abstellen. Und wenn wir ehrlich sind, ginge das auch relativ einfach, denn "ein Scheit alleine brennt nicht". Es liegt absolut in meinem Wirkungsbereich, Zank auch mal eine Zeitlang ruhen zu lassen und auf Provokationen nicht zu reagieren.
Dann ist da noch die "rohe Gewalt". Mit roher Gewalt geht nämlich gar nichts:
Fastenzeit bedeutet vor allem Aufermerksamkeit und Feinfühligkeit: sich selbst gegenüber, gegenüber den Mitmenschen und Gott.
Zur Ruhe kommen
- Treibe dich nicht selbst vor dir her. Du musst nicht perfekt sein, weder als Pädagoge*in, noch in der Familie.
- Auch wenn es schwer fällt, und auch wenn du im Recht bist: Lass einen Konflikt einfach mal ruhen. Bemühe dich um Deeskalation.
- Wenn sich eine Sache als widerständig erweist, dann versuche es mal nicht mit Gewalt. Versuche genauer hinzuhören, vielleicht bekommst du einen leisen Hinweis zur Lösung?
#2 Aufmerksamkeit mir selbst gegenüber
Jede Beziehung, beginnt mit der Beziehung zu sich selbst. Wie ich anderen begegne, unterscheidet sich meist kaum davon, wie ich mir selbst begegne.
Dazu wieder Jesaja:
Ist das ein Fasten, wie ich es wünsche, ein Tag, an dem sich der Mensch demütigt:
wenn man den Kopf hängen lässt wie eine Binse,
wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt?
Wir alle tragen Verwundungen und Kränkungen in uns, die uns an unserem Selbstwert zweifeln lassen. Selbstzweifel drücken uns nieder. Mit gesenktem Kopf ist auch kein Augenkontakt mehr mit anderen möglich. Natürlich ist es wichtig, die eigenen Stärken und auch Schwächen zu kennen. Aber zu wissen, worin ich nicht gut bin, ist noch lange kein Grund, an mir als Person zu zweifeln.
Jesaja denkt bei diesen Worten wohl auch an Selbstmitleid. Die Opferrolle einzunehmen ist bequem. Es ist leichter zu sagen, die anderen wären an meinem Unglück schuld. Und mir als armes Opfer müsste nun doch wohl alle Aufmerksamkeit gelten! Und selbst wenn es in der Fastenzeit auch um das Eingestehen eigener Unzulänglichkeiten geht, Selbstmitleid ist damit nicht gemeint. Das "mea culpa" ist nämlich erst der Anfang eines Prozesses.
Und dieser Prozess heißt: Versöhnung mit mir selbst. Dies gelingt nur, wenn ich begreife, dass ich wertvoll bin. Einfach, weil ich bin. Ein paar Kapitel vorher hat Jesaja genau das betont: "Du bist wertvoll!" (Jes 43).
Wer erkennt, dass er*sie wertvoll ist, kann mutig und ohne Gram auf die eigenen Fehler schauen und so eine liebevolle Beziehung zu sich selbst aufbauen. Und wie in jeder Beziehung benötigt dies Aufmerksamkeit - mit mir selbst.
Die Fastenzeit soll dazu Anlass sein. Denn wenn du selbst gestärkt bist, dann kannst du die Beziehung zu den anderen gestalten.
Ich bin wertvoll
- Wenn du in der Früh aufstehst, oder am Weg zur Arbeit, denk an deine Stärken. Sage dir laut: "Das kann ich gut! Ich bin wertvoll."
- Trägst du Kränkungen in dir? Nimm dir vor, mit einem*r guten Freund*in oder Seelsorger*in darüber ins Gespräch zu kommen. Du kannst dies ohne Scham tun, denn es ist stark, Heilung zu suchen.
- Vergiss Sack und Asche. Tu dir selbst was Gutes, bring dich selbst zum Leuchten.
#3 Aufmerksamkeit gegenüber Mitmenschen
Wie in den vorherigen Impulsen bereits angeklungen ist, ist die Fastenzeit eine höchst aktive Zeit. Es geht nicht einfach nur um das Kalorien-Fasten. Genau genommen, geht es dem Propheten Jesaja überhaupt nicht um solche Dinge. Fastenzeit bedeutet für ihn, sich aktiv um gute Beziehungen zu bemühen und die eigene Verantwortung zu erkennen. Dies gilt insbesondere auch für die soziale Verantwortung:
Nennst du das ein Fasten und einen Tag, der dem HERRN gefällt?
Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche:
die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen,
Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen?
Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen,
obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen,
wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden
und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen?
Das ist doch mal eine Herausforderung. Jeder einzelne Punkt wäre eine Aufgabe für sich selbst! Und sind das nicht eigentlich Probleme, die außerhalb meines Wirkungsbereiches liegen? Keineswegs! Zuerst geht es wieder um Aufmerksamkeit. Nicht immer sind Unrecht, Unterdrückung, Hunger, Obdachlosigkeit, etc. anonyme, von mir distanzierte Probleme, an denen ich keine oder nur wenig Mitschuld trage. Wenn wir mutig und aufrichtig unser eigenes Leben betrachten, dann entdecken wir, dass auch wir anderen Menschen Unrecht tun, sie nicht zur Geltung kommen lassen. Dass wir ihnen verweigern, was sie bräuchten, um gut leben zu können, sie als "Nackerbatzln" betrachten. Und mal ehrlich: Über familiäre und verwandtschaftliche Zerwürfnisse brauchen wir nicht groß diskutieren...
Aufmerksamkeit bedeutet, sich zu fokussieren: auch auf die kleinen und unmittelbaren Dinge, die direkt mit mir zu tun haben. Fastenzeit bedeutet, sich betreffen zu lassen!
Sich betreffen lassen
- Wenn du abends zu Bett gehst, hole dir nochmals die Menschen, denen du begegnet bist, vor Augen. Dazu gehören auch die uns anvertrauten jungen Menschen!
- Bist du ihnen so begegnet, dass es ihnen geholfen hat, aufzuleben?
- Hast du dir gedacht: "Nicht mein Problem!"? Frage dich, was dich dennoch betreffen könnte.
#4 Dann geht ein Licht auf
Sich aktiv der Verantwortung sich selbst und den Mitmenschen gegenüber zu stellen, ist ein guter Fastenansatz. Weder das rein egoistische Auf-sich-selbst-Schauen, noch die absolute Selbstaufgabe führen zum Ziel. Beziehung ist eine Balance zwischen Geben und Nehmen, zwischen dem Ich und dem Du. Um es mit Martin Buber zu sagen: Der Mensch wird am Du zum Ich.
Jesaja formuliert das so:
Wenn du Unterjochung aus deiner Mitte entfernst,
auf keinen mit dem Finger zeigst und niemandem übel nachredest,
den Hungrigen stärkst und den Gebeugten satt machst,
dann geht im Dunkel dein Licht auf und deine Finsternis wird hell wie der Mittag.
Der HERR wird dich immer führen, auch im dürren Land macht er dich satt und stärkt deine Glieder.
Mit dem Finger auf jemanden zeigen ist das genaue Gegenteil einer gelungenen Beziehung zum Du. Der Volkmund weiß das auch, wenn er sagt: Wer mit dem Finger auf jemanden zeigt, zeit mit drei Fingern auf sich selbst. Ich erinnere an den Abschnitt über die Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber. Es geht also um ein Leben auf Augenhöhe mit unseren Mitmenschen. Niemand ist "besser" oder "schlechter". Auch, wenn beispielsweise die Leistungen von Schülern*innen nicht gleich sind, deswegen sind sie als Menschen noch lange nicht besser oder schlechter. Im Kopf wissen wir das - wissen wir das auch im Herzen? Menschen haben Hunger nach dieser Bestärkung, dass sie in deinen Augen wertvoll sind. Die Theologin Dorothee Sölle hat es genau auf den Punkt gebracht: Die Beziehungslosigkeit des Menschen führt zum "Tod am Brot allein".
Es liegt also an dir und mir, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Und dann sehen wir plötzlich auch wieder das Strahlen in den Augen meines Gegenüber. Dieses Leuchten in den Augen kommt auf mich zurück. Wertschätzung zieht Kreise.
Leuchten in den Augen
- Stelle dich vor den Spiegel. Betrachte dich selbst. Suche dein Leuchten in deinen Augen.
- Überprüfe deine Kommunikation auf versteckte Unterdrückung, Bloßstellung und Schlechtmacherei. Vorsicht: Es sind oft nur Kleinigkeiten!
- Nimm dir für einen Tag bewusst vor, mit anderen so umzugehen, wie du es selbst gerne hättest, dass sie mit dir umgehen.
# 5 Gott Raum und Zeit geben
Wir haben in den vorherigen Impulsen davon gesprochen, dass Fasten vor allem ein ehrliches Bemühen um eine gute Beziehung zu mir selbst und meinen Mitmenschen bedeutet. Das ist so viel schwieriger, als einfach nur auf die Fleischkäs-Semmel zu verzichten! Woher sollen wir die Kraft dazu nehmen?
Es ist Zeit, noch eine dritte Beziehung mit hereinzunehmen: die Beziehung zu Gott. Für eine gelingende Gottesbeziehung hat der Prophet Jesaja einen erstaunlich pragmatischen Ansatz:
Wenn du am Sabbat deinen Fuß zurückhältst, deine Geschäfte an meinem heiligen Tag zu machen,
wenn du den Sabbat eine Wonne nennst, heilig für den HERRN, hochgeehrt,
wenn du ihn ehrst, ohne Gänge zu machen und ohne dich Geschäften zu widmen
und viele Worte zu machen,
dann wirst du am HERRN deine Wonne haben.
Jesaja empfiehlt keine "frommen Übungen", die nur was für religiöse Freaks sind. Keine Vorschriften, viel zu beten, oder Gottesdienste zu feiern. Jesaja setzt beim Sabbat an - das ist in unserer christlichen Kultur der Sonntag. Der Sonntag soll ein Tag sein, der sich vom Werktag unterscheidet. Ohne viel Action, ohne fromme Sprüche: Einfach mal den Sonntag auch genießen. Was bringt das für die Gottesbeziehung? Es schafft Freiraum und Freizeit, in der sich eine Gottesbeziehung entfalten kann. Nur, wer sich frei macht, sich der Muße hingibt, wird Gott erleben.
Kein Wunder also, dass die Sonntage keine Fasttage sind! (Wer es nicht glaubt, zähle die Tage vom Aschermittwoch bis Ostern: Es sind vierzig Werktage.)
Du darfst den Sonntag genießen. Du darfst Gott in dir Raum und Zeit geben. Mehr brauchst du nicht zu tun.
Die Hände in den Schoß legen
- Kannst du am Sonntag zumindest eine gewisse Zeit einfach nur die Seele baumeln lassen?
- Wenn du am nächsten Sonntag einen ruhigen Moment einplanst, dann öffne dich bewusst für die Gegenwart Gottes.
- Hast du gewusst, dass Gott von dir nichts fordert, sondern Gott selbst die Beziehung zu dir aufbauen möchte?
#6 Auf Heilung vertrauen
Karfreitag. Ein unbequemer Tag und eigentlich nur schwer auszuhalten angesichts unsäglicher Gewalt, Leid und Tod. Die Hinrichtung Jesu empfinden Menschen damals wie heute als sinnlos. Und gäbe es nicht Ostern, wäre es das auch.
Jesaja kann uns sogar dafür eine Verstehenshilfe anbieten:
Die Deinen bauen uralte Trümmerstätten wieder auf,
die Grundmauern vergangener Generationen stellst du wieder her.
Man nennt dich Maurer, der Risse schließt,
der Pfade zum Bleiben wiederherstellt.
Fasten hat in den Augen des Propheten Jesaja auch eine Verbindung zu alten Wunden und Verletzungen. Richtiges Fasten, so wie wir es in den vorangehenden Impulsen betrachtet haben, bewirkt auch einen Blick auf das, was in der Vergangenheit zerbrochen ist: Im eigenen Herzen und in den Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Bevor etwas wiederaufgebaut werden kann, muss man sich jedoch mit den Trümmern beschäftigen. Sie zu ignorieren bringt nichts. Der griechische Theologe Gregor von Nazianz (4. Jahrhundert) sagt treffend: "Was nicht angenommen ist, kann nicht geheilt werden.". Der Karfreitag nimmt sich der Wunden der Vergangenheit an: ganz realistisch, ohne zu beschönigen. Und dann erst kann das Wunderbare geschehen: Heilung.
Du darfst auf Heilung vertrauen und in diesem Vertrauen auch selbst andere heilen, Die Risse wieder kitten, die sich im Laufe der Zeit in den Herzen und Beziehungen aufgetan haben. Das ist Ostern.
Aushalten und vertrauen
- Was sind ganz ehrlich deine persönlichen Verwundungen? Versuche, sie zu benennen.
- Versuche dir vorzustellen, was der Auferstandene zu dir sagen würde, um dich zu heilen.
- Schöpfe Kraft in deiner Aufgabe, auch für andere Maurer*in zu sein, um Risse zu schließen.
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